Ziel verfehlt – Weg gefunden

Predigt am Trinitatissonntag, 12. Juni 2022, Matthäuskirche Landau von Pfarrer Dr. Stefan Bauer
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Römer 11,33-36

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde!

Gottes Wege – Paulus ist Wege gegangen, über Land und Meer. Er wäre sicher auch geflogen, wenn das technisch schon möglich gewesen wäre. Der Weltreisende unter den Aposteln. Paulus hatte eine ganz klare Vorstellung von der Zeit, in der er lebte und von seinem Auftrag.
Er glaubte, wenn er erst einmal die Botschaft von Christus an die äußersten Weltenden gebracht hätte, dann wäre alle Zeit erfüllt und Christus könne wiederkehren und die Herrschaft über die Welt antreten in Gottes Reich.

Um dieses Ziel zu erfüllen wollte Paulus unbedingt das Ende seiner Welt erreichen – die Menschen in Spanien. Er hat es nicht geschafft. Und die kleinen Gemeinden, die er zurückließ, zum Teil nicht größer als Hauskreise, die mussten nun damit fertig werden, dass das erhoffte Ziel der Geschichte sich nicht erfüllte.

Paulus betonte zum Glück beides – das große Ziel und den Weg. Wobei er all seine Kraft verwendete, seine Wege zu gehen mit den Menschen zu Gott – über die Botschaft von Christus, dem Sohn und Retter.

Die Frage für uns heute ist, was ist für uns heute wichtig – das große Ziel oder der Weg, den wir gehen?

Viele sagen ja, dass auch für uns heutige ein Traum zerplatzt ist. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Traum von allen Menschen auf dem Globus so geteilt wurde, wie wir ihn in unserem reichen Land träumten: Es ist der Traum gewesen, dass durch eine den ganzen Globus überziehende Wirtschaft die ganze Menschheit ein immer besseres Leben haben wird.

Der Traum scheint ausgeträumt. Wir sehen, wie diese Art des Wirtschaftens nicht Gerechtigkeit und gutes Leben für alle förderte, sondern wie es fortwährend auf Rechnung und Kosten Dritter für unseren Wohlstand sorgte: Wir leben auf Kosten von Menschen in schlechten Arbeits- und Lebensumständen. Wir leben auf Kosten der Natur. Und wir leben auf Kosten unserer Kinder und deren Kinder.

Der geplatzte Traum bringt uns in die Lage der Gemeinden, die Paulus hinterließ: Der erhoffte Anbruch des Neuen bleibt aus. Gottes Reich begann nicht mehr zu Lebzeiten der Gläubigen. Sie mussten sich neu einrichten in der Welt, um damit fertig zu werden.

Genau so nun bei uns heute. Das Reich des allgemeinen Wohlstands für alle lässt sich so wie gedacht nicht verwirklichen. Es wurden zuviele Kosten verheimlicht, verdrängt, erst gar nicht als Kosten verbucht. Aber jetzt flattern die Rechnungen auf den Tisch: Ein gigantischer Verlust an Lebens- und an Artenvielfalt. Die zunehmenden Wetterkatastrophen. Flüchtlingswellen aus Dürregebieten und Ländern ohne Entwicklungsperspektive. Pandemien, die wohl vermehrt auftreten werden durch den Naturverbrauch. Und zu allem Überdruss auch noch Kriege – einer davon viel näher und bedrohlicher an uns als gewöhnlich.

Liebe Gemeinde, bei allem, was jetzt vor uns liegt – die große Aufgabe der Umkehr aus diesen falschen Entwicklungen, wird es uns wenig helfen, den nicht mehr erreichbaren Idealen hinterherzutrauern. Ja, auch die frühen christlichen Gemeinden mussten so einen Trauerprozess durchlaufen, nachdem ihnen klar wurde, dass Gottes Reich nun doch nicht absehbar bevorsteht.

Aber dann machten die Gemeinden Entdeckungen in den Briefen des Paulus. Sie entdeckten diese starken Sätze: Wie unerforschlich sind Gottes Wege! O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!

Und da erinnerten sie sich daran, was Paulus erlebt hatte, dass er solche unerforschlichen Wege beschreiten durfte – auf seinen Reisen von Metropole zu Metropole bis in das große Rom.
Paulus ging diese Wege Gottes. Und er war wie ein zweiter Abraham aufgebrochen ins Neuland aus einem großen Vertrauen in seinen Gott.

Ich glaube, das ist die Haltung, die ich gern kopieren würde für uns und für unsere Zeit. – Dass wir uns wieder begreifen als Gottes Volk auf der Wanderschaft, als Pilgerinnen und Pilger zu neuen Horizonten, als Sendbotinnen und Sendboten einer umwerfend schönen Botschaft.
Wir werden aufbrechen in das Land der Zukunft, das uns jetzt wie eine Wüste vorkommen mag, bei den Prognosen, die uns die Wissenschaft macht.
Dabei ist das erste Entscheidende, dass ein Aufbruch möglich ist! Wir haben Vorbilder, Paulus und Abraham, die sich auf den Weg machten – getragen von nichts als ihrem tiefen Vertrauen auf Gott.

Im Römerbrief führt Paulus zwei Zeugen für dieses Gottvertrauen an: Den zweiten Jesaja und Hiob

Zur Zeit des zweiten Propheten Jesaja lag die große Katastrophe der Tempelzerstörung und des Gangs ins Exil schon zurück und es keimte neue Hoffnung, dass es wieder eine Heimkehr und neue Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk geben kann.
Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13)

So zitiert Paulus den zweiten Jesaja. Gemeint ist, wie hätte das ins Exil geführte Volk in der akuten Krise erkennen sollen, dass das nicht das Ende war, sondern alles auch wieder gut werden konnte.

Und im Buch Hiob geht es ja darum, dass dieser Hiob ganz tief in sich Gott so vertraut, dass er die Krisen und Verluste seines Lebens übersteht. Resilienz nennt man das heute gern.
»Wer hat Gott etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3)
Mit diesem Zitat betont Paulus, dass Gott schenkt. Er bezahlt nicht, für Leistung. Er schenkt – und der Mensch empfängt.

Alles Gute, was uns auf dem Weg durch Krisen und Katastrophen stärkt, kommt von ihm.

Diese Besinnung auf Gottes heilendes Handeln mündet bei Paulus in das Bekenntnis: Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!

In dieser allumfassenden Gottesnähe bemühte sich Paulus bei den Christen in Rom, eine Einheit herzustellen und auch Brücken zu bauen zur jüdischen Gemeinde und zu denen, die der antiken Götterwelt und ihrem Tempelwesen anhingen.
Seine Vision war auch, dass alle zusammenfinden würden, wenn die Zeit dafür gekommen war. – Er glaubte nicht an ein ewiges Nebeneinander der Kulturen und Religionen, sondern sah für sich, dass die Wege einmal zusammenführen würden unter Gottes gutem Wirken. – Eine Welt!
Ziele – wohl verfehlen wir Ziele – wie Paulus, der es nicht schaffte, die Botschaft ans Ende der Welt zu tragen, der es nicht erlebte, wie sich die Einheit einstellte.

Wir alle erleben wie er klägliches Versagen, Gefahren, todbringendes Verhalten der Menschheit. – Und doch betonte Paulus den Weg, auf dem wir sind und immer sein werden: O welch eine Tiefe des Reichtums,

beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Aber, liebe Gemeinde, es gibt seine, Gottes Wege. Und wir sind eingeladen, auf ihnen zu gehen, zu wandern, zu pilgern. Wege sind nicht das Schlechteste. Sicher, ans Ziel zu kommen, ist etwas Besonderes. Dort könnte man es sich bequem machen. Aber wir können ja auch Etappenziele festlegen – bis da- oder dorthin noch …

Die 20% Veränderungspotential, die wir als VerbraucherInnen persönlich haben, erstmal ausschöpfen. Weniger Fleisch und Milchprodukte, anders Einkaufen, anders fortbewegen, anders Urlaub machen, anders wohnen.
Ich mag die neue Wortschöpfung „Flexitarier“. Sie bedeutet, dass ich manches schon ändern kann – ohne, dass ich gleich alles anders machen muss. Flexitarier bedeutet, auf dem Weg sein. Und wie Paulus das Ziel klar kennen und dann von einer Station zur nächsten zu reisen. Manchmal umkehren und nochmal zurückkehren, um etwas zu klären, um einer Gemeinde zu helfen. Aber immer wieter unterwegs in die Welt und Richtung Horizont, auch, wenn wir ihn nie erreichen.

Paulus konnte dabei ins Schwärmen kommen:
Welche Tiefe des Reichtums!
Reiche Erkenntnis und tiefe Weisheit, die uns den nahen Gott zeigen, den der mit uns unterwegs ist auf seinen Wegen, die uns so unerforschlich vorkommen – und dennoch zu dieser tiefen inneren und äußeren Freude führen.

Wir dürfen mitziehen auf seinen unerforschlichen Wegen und wissen, es geht dem Ziel entgegen.
Mag es fern sein und unerreichbar zu unserer Lebenszeit, es ist und bleibt das richtige Ziel, das uns Christus verköprert.
Der Weg jedenfalls ist voller Freude.

Und der Friede Gottes …