Wer vertrauen kann

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Predigt zum Totensonntag, 26.11.2023, über Daniel 12,1-3
Matthäuskirche Landau, Pfarrer Dr. theol. Stefan Bauer

Zu jener Zeit wird Michael auftreten, der große Engelfürst, der für dein Volk einsteht. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. Und viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. Und die Verständigen werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.

Michael wird normalerweise weggelassen. Ist das nicht schade? Eigentlich soll der große Engelfürst nicht zur Predigt gelesen werden und der für heute aufgegebene Textabschnitt aus dem Danielbuch beginnt dann mit der Ankündigung großer Trübsal. Ich finde, Michael, der Engelfürst, gehört dazu. Denn große Trübsal braucht starke Gegenkräfte. Und in einer Trübsal, „wie sie nie gewesen ist„, wie es im Danielbuch heißt, in so einer Trübsal ist ein starker Engel gewiss nicht übertrieben. Was dachten man sich dabei, den Engel wegzuzkürzen?

Wer heute hier ist und im Andenken an einen geliebten Menschen gekommen ist, der kann davon erzählen, dass Trauer manchmal so schwer wie Blei ist, belastend, erdrückend. Und wenn man aus so einer Phase der Trauer, aus so einer Trübsal, wieder hervor kommt – dann weiß man oft gar nicht genau, wie das nun gelungen war, wieder froher zu werden. Oft waren dann andere Menschen im Spiel, die einen heraus geholt haben aus der Grube – wie den Daniel nach der Nacht in der Löwengrube: Ein Engel, so sagte Daniel, habe dem Löwen das Maul zugehalten. – Wie sonst hätte er das überleben sollen? Wie anders als von einer übermenschlichen Kraft können wir aus dem Leid wieder auftauchen, wenn es uns getroffen hat?

Ob ein Mensch einen Engel sehen oder spüren kann, hängt an einer einzigen Frage: Gibt es einen Himmel? Wenn ja, dann können von dort auch Engel kommen.
Gibt es einen Gott? – Wenn ja, dann kann aus Tod wieder Leben werden.

In unserer modernen Zeit könnten wir die Frage so formulieren: Gibt es einen Bezugsrahmen meines Lebens, der über das Sichtbare hinausreicht? – Wenn ja, dann sind wir eingeladen, zu vertrauen.

Und am heutigen Tag würde dieselbe Frage lauten können: Gibt es noch eine Verbindung zwischen denen, die gestorben sind und denen die leben? – Wenn ja, dann sind unsere Empfindungen nicht falsch.

Das Danielbuch stellt ein Leben nach dem Tod in Aussicht. Ich lese: Viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, so heißt es bei Daniel, dem Propheten, der in Babylon im Exil lebte.

Viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen. Das klingt so, als finde das in ferner Zukunft statt. Doch es heißt weiter: die einen (werden aufwachen) zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. Wer zur Ewigkeit aufwacht, dem tickt keine Uhr mehr – und deshalb ist es auch nicht falsch, zu sagen, die Verstorbenen sind jetzt schon auferstanden. Denn dieses jetzt schon ist für sie gleichgültig, da sie in die Ewigkeit auferstanden sind. Und Ewigkeit umfasst alle Zeit zugleich, also auch diesen Moment jetzt.
Die Ewigkeit ist Gottes Sphäre. Was wir kennen, ist die Endlichkeit, die Begrenztheit. In Ewigkeit leben, das heißt innige Verbindung zu Gott. – Und alle, die mit Gott verbunden sind in Ewigkeit, die sind durch ihn natürlich auch untereinander verbunden. – Und so kann man im Glauben sagen, dass wir, die Lebenden, unseren Verstorbenen spätestens in Gott wieder verbunden sind – aber auch jetzt schon sind wir nicht getrennt voneinander. So wahr der Glaube die Macht eines Engels spürt, so wahr ist die Liebe, die uns noch immer mit unseren Verstorbenen verbindet. Gott ist Liebe. Und deshalb bleiben wir verbunden. –

Immer wieder also dreht es sich um die eine Frage: Gibt es den Himmel, gibt es Gott, gibt es seine Engel, gibt es ein Leben in seiner Ewigkeit? Wir wissen, Menschen können die Frage verneinen. Es gibt Menschen, denen Gott nichts bedeutet und die keinen Glauben an eine höhere Kraft kennen. –

Manche von ihnen sehen sich auch nicht dem Guten verpflichtet – wozu auch? Sie sehen sich einfach nur sich selbst verpflichtet. Sie sehen eine ablaufende Lebenszeit vor sich, die sie für sich nutzen wollen. – Wenn man das Leben so sieht, dann kann man nichts davon abgeben oder hergeben – dann kann man keine Opfer bringen. Und dann will man auch keine Opfer Anderer annehmen. Nein, man möchte nicht danken müssen oder jemand anders verpflichtet sein. Man möchte nur sehen, dass das eigene, doch so kurze Leben, möglichst gut verläuft.

Das erste Gebot lädt uns ein, Gott die Ehre zu geben und nichts an seine Stelle zu setzen. Wenn nun bei einem Menschen der Platz, den Gott eigentlich einnehmen sollte, leer bleibt, dann wird dieser leere Platz sehr schnell mit anderem ausgefüllt. Die Bibel sagt dazu: Götzen, sie sagt dazu Mammon, sie sagt dazu Verblendung.
Im Danielbuch sind es die mächtigen Könige Babylons und Persiens, die erfahren, wie man stürzt, wenn man sich selbst zum Gott macht. Das Danielbuch beschreibt, wie es solchen Menschen ergehen wird, die nur an sich selbst glauben: Auf sie wartet nicht etwa ewiger Tod, wie sie vielleicht dachten. Nein, es heißt: die einen (werden aufwachen) zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. … Ich denke dadurch, dass sie erkennen werden, wie sinnlos und leer ihr Leben war – ohne Liebe, ohne Respekt, ohne Hingabe, ohne Dank.

Das Danielbuch lässt uns verstehen, wie die Anderen leben – diejenigen, die glauben. Es nennt sie „die Verständigen„: Die Verständigen werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, (werden leuchten) wie die Sterne immer und ewiglich. Da haben wir das schöne Bild der Sterne, das als Vergleich für die Verstorbenen herangezogen wird – den Grund, weshalb wir verbunden bleiben mit denen, die wir heute betrauern: Sie sind uns zu Sternen geworden. Sie leuchten uns auf dem Weg zum Leben und zeigen uns diesen Weg.
In mancher Hinsicht waren sie uns schon zu Lebzeiten Orientierungslichter – es waren Menschen, die das Leben liebten und die andere Menschen lieben konnten. Es waren Menschen, mit denen und durch die wir selbst weiter gekommen sind, gelebt und geliebt haben. Sie waren Verständige, sie hatten verstanden: den Himmel über sich, Gott über sich, die Engel um sich, Menschen um sich, denen sie bereit waren, aus Liebe Opfer zu bringen, weil so das Leben funktioniert: Hergeben, Kraft geben und so Kraft empfangen. – Von den Mitmenschen, vor allem aber von Gott her Kraft empfangen – gerade in der größten Trübsal Kraft empfangen von Gott her, der mit Hilfe mächtiger Engel uns aus der Grube der Trauer holen kann.

Nur ihm ist keine Trübsal zu groß und keine Grube zu tief.

Daniel lehrt uns ein wichtiges Kennzeichen der Verständigen: dass die Verständigen die Eigenschaft haben, zur Gerechtigkeit zu weisen. Gott nicht kennen, so die biblische Botschaft, führt zum menschlichen Scheitern. Menschen sind leichter zu verletzen, wenn ich sie nicht als Gottesgabe und Geschöpf sehe. Der Mensch verliert Maß und Ziel, wenn er sich selbst absolut setzt.

Die ablaufende Lebenszeit verdeutlicht uns allen: Was haben wir hinterlassen auf unserem Weg? – Scherben und Wunden, menschliche Katastrophen, zerbrochene Beziehungen? – Oder konnten wir Liebe empfangen und Liebe teilen?
Und so ist es dann auch mit unseren Verstorbenen. Wenn sie uns Wegweiser zum Leben sein konnten, wenn sie für uns ein Stück Himmel auf Erden waren, wenn sie uns Gott ein Stück näher gebracht haben durch ihr Vertrauen, dann sind sie heute nicht vergessen, sondern leuchten uns weiter, wie Sterne, bis zum himmlischen Ziel und der ewigen Verbindung in Gott.

Viele andere aber, die keine Liebe gegeben haben und die keine Gerechtigkeit kannten, sind vergessen. Die Stimme aus Daniels Vision spricht von einem Buch, in dem die einen geschrieben stehen. Das klingt rätselhaft – vor allem es klingt so endgültig. Entweder ein Name steht in dem Buch – oder nicht. Die Frage Warum? bleibt von Gott her unbeantwortet. Es gibt da nichts, was wir tun können … nichts als nur Vertrauen, nichts als nur Glauben.
Wer das getrost Gott überlassen kann, wer es Gott zugesteht, das alles, unser Leben und unser Glück, in der Hand zu haben und wer ganz darauf vertraut, dass Gott Güte, Erbarmen und Liebe ist, der, liebe Gemeinde, der steht in dem Buch schon geschrieben, … wer vertrauen kann.