Wenn Worte versagen

Predigt am Sonntag Exaudi, 29.5.2022, Matthäuskirche Landau von Pfr. Dr. Stefan Bauer
image_pdfPDF herunterladenimage_printText drucken

Römer 8,26-28 (im Text unten)

Liebe Gemeinde,

zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten liegt der heutige Sonntag mit dem Namen Exaudi: Erhöre unser Gebet. Jesus, der aus dem Tod auferstanden war, dem sie begegnet waren, der ihnen große Hoffnung gemacht hatte, der war ihnen genommen. Es war eine Zeit zwischen Bangen und Hoffen für die Frauen und Männer um Jesus. Zwischen dem endgültigen Abschied und der vagen Hoff-nung auf neue Perspektiven.
Die Apostelgeschichte schreibt, dass die Freunde und Angehörigen beisammen blieben und beteten. Notwendige organisatorische Dinge wurden geregelt. Man erfuhr vom Tod des Judas. Und die nun elf Apostel wählten einen neuen, der den Zwölferkreis wieder ergänzte.
Es war eine Zeit des Harrens, des Ausharrens, diese zehn Tage. Heute wissen wir, dass an Pfingsten Gottes Geist für den neuen Anfang sorgte. Aber damals war eine Zeit der Stille, des Betens, des Ausharrens.

Es gibt solche Zeiten des Ausharrens, des Wartens. Zwischenzeiten, in denen die Worte ausgehen. In meiner Tätigkeit als Notfallseelsorger kam ich in solche Momente als die Zeit stillstand. Da ging es auch um Abschied. Da muss der Tod eines geliebten oder nahen Menschen verkraftet werden. – Das schafft bei Unbeteiligten zuerst einmal Verlegenheit. Und es kommt sehr schnell das Bedürfnis auf, die Stille, das Verharren, zu durchbrechen und zur Sprache zurückzufinden.
Und da könnte man natürlich schnell anfangen zu reden, schnell Worte suchen, von denen man als Außenstehender meint, dass sie trösten. Es sind Worte, die auch oft im Alltag fallen, ernst gemeinte, gute Worte wie: „Es wird schon wieder“, „Du wirst schon einen Weg finden“, „Wir lassen dich nicht allein“, „Es ist jetzt schwer, diese erste Zeit, aber du wirst sehen, das Leben geht weiter“, „Sag nur, wenn du etwas brauchst“, „Melde dich jederzeit bei mir“.
Aber, wenn jemand so einen abrupten Abriss des Alltags erlebt, dass ein naher Mensch plötzlich stirbt, dann will er nicht daran denken, dass es wieder werden kann, dann will er oder sie nicht an einen Weg denken, der nun zu gehen ist, dann will er im ersten Moment auch nicht Nähe, denn er fühlt sich so, wie kein anderer sich in dem Augenblick fühlt und dann braucht er auch nicht zu hö- ren, wie schwer es jetzt für ihn ist und dann braucht er oder sie auch keine Lebensweisheiten.
Bei einem Einsatz war ein 18jähriger behinderter junger Mann, einziges Kind seiner Eltern, ums Leben gekommen bei einem Hausbrand. Die Eltern waren ins Mark getroffen aber im Moment gefasst. Ein Bestatter empfahl den Eltern im Gespräch: „Ihr lasst Euch jetzt gleich vom Hausarzt ei- ne Beruhigungsspritze geben, die hält dann drei, vier Tage und zur Trauerfeier dann noch eine, denn das haltet ihr dann sowieso nicht aus.“ –
Das ist ein möglicher Weg, mit Trauer umzugehen: Wegspritzen, Abdämpfen, Übergehen.
Aber der Verlust bleibt Verlust. Und die Wirkung von Beruhigungsmitteln endet. Und dann sind Verlust und Schmerz und Leere immer noch da. – Ich habe in der Notfallseelsorge gelernt, diese Wortlosigkeit und Verzweiflung auszu-halten und sie nicht mit Tröstungen, Bibelversen oder Rat- schlägen aus der Krisenprävention zu überdecken. Ich versuche den Menschen so nahe zu sein, wie sie es gerade zulassen und warte auf ihre ersten unsortierten Worte. – Alles Weitere kommt danach und ich habe vorher keine Idee, was kommt.

So etwas ereignet sich im Leben von Menschen. Im Ge-schehen an einem Unfallort, vor einer Schule nach einem Amoklauf, wie jetzt in Texas, oder vor einem abgebrann-ten Haus oder in einer

Wohnung, wo sich gerade jemand das Leben genommen hat oder in Begleitung von Polizei- beamten, die die Nachricht vom Tod eines Verwandten überbracht haben, da sind vielleicht noch Einsatzkräfte bei der Arbeit. Schaulustige werden angelockt, Nachbarn wollen etwas Gutes tun oder freundlich sein, Verwandte treffen ein und bringen eine eigene Dynamik in das Geschehen.
Die Person der Notfallseelsorge ist ein ruhender Pol in ei-nem Bienenschwarm. Als Seelsorger ist man derjenige, der für das schreckliche Ereignis steht. Der durch seine bloße körperliche Anwesenheit daran erinnert, dass ein Mensch gestorben ist.
Manchmal erwarteten Sanitäter oder Notärzte, dass ich gleich mit einer Art Gesprächstherapie beginne, die zur Entlastung des Trauernden Menschen führt und die Aufarbeitung des Verlustes in Gang bringt. Sanitäter, Notärzte und andere Helfer sind Macher. Sie tun etwas und retten dadurch, dass sie es schnell und gut tun. – Aber das geht bei der Seelsorge nicht. Jeder Gesprächsleitfaden wäre der falsche. Man bringt Erfahrungen und Methoden mit, wie in einem Werkzeugkoffer, aber es kann sein, dass etwas gebraucht wird, das sich dort nicht findet. Sogar ein Gebet könnte den Betroffenen aufgesetzt sein. Deshalb betete ich zuerst nur still für die Menschen, die es getroffen hat.
Seelsorge heißt hier nicht Texte runterbeten oder persönli-che Betroffenheit formulieren. Es heißt in erster Linie, den Schrecken und den Schmerz mit aushalten und Harren können, mitunter quälend lange, bis ein Wort des Betroffenen kommt. Und dann aufmerksam zuzuhören und das ernst zu nehmen und sei es auch absurd oder banal oder verrückt.
Und so lernt man behutsam, was jetzt in diesem Men-schen vorgeht und dann ist die Hauptaufgabe, ihn zu schützen vor allem, was von außen auf ihn eindringt. Denn nur so kann das, was ihn jetzt bewegt zur Geltung kommen.
Der Sonntag Exaudi, den wir heute feiern, der bedeutet, „erhöre“, gemeint ist Gott: Erhöre Gott, erhöre mein Gebet. Ja, höre, auch das, was ich nicht sage.

Ich denke an die Betenden in Jerusalem, die ihren Jesus verloren hatten – ein Harren zwischen Abschied und banger Hoffnung auf einen Neuanfang.
Ich denke an Gebete mit Trauernden, in denen ich versuchte, die Beziehung, die zu dem Verstorbenen bestand und die Gefühle der Trauernden in Worte zu fassen.

Ich denke an das stumme Ausharren des Notfallseelsorgers mit den Angehörigen nach einem Unglück. Ein stilles Gebet für die Betroffenen, dass sie die Kraft finden mögen, das auszuhalten.

Es gibt Beterinnen und Beter, die rattern ihre Sprüche her-unter, wie abgespult. Die glänzen in Gebetskreisen und ziehen bewundernde Blicke auf sich. Sie beschämen an-dere, weniger flüssige Beterinnen und Beter in ihrer Gegenwart. So habe ich es leider öfter erlebt.
Ich bete gerne mit anderen zusammen aber ich bete dann am liebsten das Vaterunser. Denn all meine persön-liche Fantasie, all meine sprachliche Fertigkeit, all meine antrainierte Frömmigkeit kann dem Gegenstand des Be-tens niemals gerecht werden: Denn der Gegenstand des Betens ist Gott.

Paulus weiß um die Unfähigkeit, zu beten. Folgende Sätze schreibt er nach Rom, Römer 8,26-28.

Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seuf-zen.
Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Herr, segne dein Wort an uns!

Dass wir nicht beten können, liebe Gemeinde, das gilt für uns alle. Alles, was wir nämlich vorbringen können, das ist Stöhnen und Seufzen. Klagen und jammern können wir, beten aber nicht.
Wir haben ja weder angemessene Worte für das Elend der Welt angesichts der Krisen, in die Menschen geraten. Noch können wir angemessene Worte für Gott haben.

Wenn wir unsere Not aber nicht in Sprache fassen können, so bedeutet das, dass wir sie gar nicht bewältigen können aus eigener Kraft. Und dass wir von Gott nicht re-den können, zeigt, dass wir auch ihm überhaupt nicht gewachsen sind.
Die Wende vom Unheil zum Heil geschieht dadurch, dass Gott sich grundsätzlich dafür entschieden hat, unser Stöhnen und Seufzen und Stammeln und Jammern, das wir Beten nennen, anzuhören. Und diese Tatsache, dass Gott sich dafür entschieden hat, uns zuzuhören, zeichnet Paulus in dem Bild des Anwalts: der Geist selbst vertritt uns

Der Geist übersetzt unser Klagen in die Sprache Gottes.
Noch nicht wir selbst aber unser Jammern ist so bereits vor Gott angekommen. Denn wir Schwachen und Sprachlosen haben einen Anwalt.
Gott ist direkt bei uns – in der Gabe des Geistes. Denn es ist die Eigenart, des Geistes, dass er mitten in der Kreatur ist, unser Leben also mit lebt und dort sichtbar wird, wo die Not am größten ist.
Und wir begreifen, der Anwalt, von dem Paulus spricht, das ist Gott selbst. Gott in seiner Eigenschaft als Heiliger Geist. Dieser Anwalt hat entschieden für uns Partei ergriffen. – Und er ist ein Gegenüber und nicht unser eigener Geist. Heiliger Geist, das ist nicht irgendeine Erfahrung oder Projektion von Sehnsucht. Der Geist Gottes kommt daher nicht dort hervor, wo wir am geistlichsten oder am frömmsten sind, sondern dort, wo unsere Not am größten ist. – Denn er ist der Anwalt der Schwachen und Sprachlosen. Er hilft, wo wir an unsere Grenzen gekommen sind.

Doch was hat sich jetzt eigentlich durch den Anwalt ge-ändert? – Wir können doch immer noch nicht angemessen beten, unsere Schwäche dauert fort. Wir sind noch immer sprachlos. Es gibt immer noch keinen direkten Weg zu Gott. Das Elend ist nicht aufgehoben und die Klage dauert fort. Und Vorsicht vor allen, die behaupten, den Geist zu ha-ben und ihn dann auch noch kunstfertig zur Schau stellen oder in den schönsten Zungen reden!!!

Die Zeit des Anwalts bedeutet also offenbar nicht, dass das Heil schon da ist. Nein. Aber es ist uns gesagt, dass der, der alles verändern kann, für uns ist, dass unsere Kla-ge ein Gegenüber hat, das zuhört.
Deshalb geht es uns im Grunde immer noch wie den Freundinnen und Freunden Jesu damals, nach dem letzten Abschied, nach Himmelfahrt: Wir kommen zusammen und beten auf Hoffnung hin. Und in dieser Hoffnung dürfen wir all unser Handeln dem Anwalt, dem Geist, anvertrauen: Dass er die Richtung lenkt, in die unser Handeln wirkt. Eine Richtung auf Leben, nicht auf Zerstörung hin.

Der Geist hat also nicht unsere Vollendung gebracht. Auch wenn sich Pfingstler und Charismatiker gerne als schon Vollendete sehen.
Aber der Geist hat Hoffnung gebracht. Und die wahren Wunder geschehen dort, wo aus Trostlosigkeit Hoffnung entsteht:

An Pfingsten im Kreis der Freunde Jesu und überall dort, wo Menschen nach schweren Krisen wieder zum Leben finden.

Amen.