Predigt von Pfarrer Dr. Stefan Bauer über 1 Mose 16,1-16
Liebe Gemeinde!
Haben Sie schon mal manifestiert? Oder vielleicht visualisiert?
Das ist gerade ein Mega-Trend. Stellen Sie sich einfach den Ferrari vor, den sie besitzen möchten – und er wird über kurz oder lang Ihnen gehören. Imaginieren Sie einfach den Partner fürs Leben. Manifestieren Sie sich selbst, wie Sie sein wollen. – Und dann senden Sie Ihre Manifestation oder Visualisierung an das Universum.
Sehr prominente Leute bürgen dafür, dass es bei ihnen so funktioniert hat und funktioniert.
Die zugehörige Theorie ist z.B. von der Verhaltenstherapie her bekannt und lautet, dass die Übung, bestimmte Gedanken zu haben, den Menschen mit der Zeit verändert, ihn diesen Gedanken ähnlich macht. Im Hintergrund steht auch die Neurobiologie, die von Zusammenhängen zwischen Stimmungen und Gedanken und bestimmten Botenstoffen und Hormonen im Gehirn weiß.
Manche Vertreterinnen dieser Erfolgslehre des Manifestierens verlangen, dass man zuerst in die Selbsterforschung geht und danach fragt, ob das, was man manifestieren möchte überhaupt zur eigenen Person passt. Manche sagen, die Resonanzen der Manifestation müssten zu den eigenen Frequenzen passen. Manche führen die Kategorie Schicksal ein für den Fall, dass Manifestationen mal nicht funktionieren. – Viele aber vertreten diese Erfolgsmethode ohne weitere Bedingungen: Du denkst es, und dann wirst Du mit der Zeit eine Andere oder ein Anderer, dem das dann auch zufällt.
Ein Quäntchen Wahrheit steckt also tatsächlich in diesen Gedanken. Denken wir zum Beispiel an die innere Gestimmtheit, mit der ich in ein Bewerbungsgespräch gehe. Von sich selbst rückhaltlos überzeugt zu sein hilft da sehr. – Oder denken Sie an die psychologische Einstimmung von Hochleistungssportlern oder Fußballmannschaften. Wer an sich glaubt, der erkämpft sich leichter Chancen im Spiel.
Es geht ein großer Reiz von dieser Vorstellung aus. Der entsteht, so vermuten Forscher, vor allem wegen der derzeitigen Unsicherheiten auf der Welt. Und deshalb wurde der Trend des Manifestierens auch nach den Corona-Jahren besonders mächtig. Die Rahmenbedingungen für die Lebensplanung haben sich in der jüngsten Vergangenheit grundlegend geändert. Die Wirtschaftswissenschaft hat dafür den Begriff der VUKA-Welt geprägt.
VUKA.
Wir leben in einer volatilen Welt schneller Umschwünge – V, wie volatil.
Wir leben in einer unsicheren Welt – U, wie unsicher.
Wir leben in einer Welt komplexer Zusammenhänge und Wechselwirkungen – K, wie komplex.
Wir leben in einer mehrdeutigen, einer ambiguen Welt, in der scheinbar verschiedene Wahrheiten aufeinanderprallen – A, wie ambigue.
VUKA
Was unter den VUKA-Bedingungen abhanden kommt, das ist das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Also, der Anteil, den ich selbst steuern und beeinflussen kann.
Und hier setzt das Erfolgsmodell des „Manifestierens“ an. Unter Absehung von menschlichen Bindungen, von Zusammenhängen und Verstrickungen, behauptet das Model schlicht: Du willst es? – Du kannst es!
Was aber, wenn es nicht eintritt, wenn sich nichts manifestiert? – Stürzt man dann nicht automatisch in tiefste Selbstzweifel und Depression?
Oder man sucht einen Weg, auf dem sich der Wunsch vielleicht doch noch realisieren lässt. Dazu möchte ich uns den für heute aufgegebenen Text lesen. Im 1. Buch Mose, Kap. 16, die Verse 1-16:
Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme.
Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.
Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der Herr sei Richter zwischen mir und dir. Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.
Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.
Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.
Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend erhört. Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.
Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered.
Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.
Herr, segne unser Hören, Reden und Verstehen …
Das ist eine Geschichte, wie wir sie kennen. Es gibt ein Problem, es werden Lösungen gesucht, die Lösungen verkomplizieren sich durch menschliches Verhalten.
1. Es gibt ein Machtgefälle –
zwischen Sarai und Hagar, ihrer ägyptischen Sklavin, auch zwischen Abram und Sarai.
Es gibt immer Verhältnisse, Machtgefüge, in denen wir drinstecken, die wir uns nicht einfach wegwünschen können. Dass die eine als Ägypterin geboren und dann Sklavin geworden war, die andere aber die Frau eines mächtigen Clanchefs aus Mesopotamien war, dafür konnten beide nichts. Es war nicht ihr Verdienst und nicht ihr Verschulden. Aber es sind denkbar unterschiedliche Startbedingungen für eine gute Zukunft. Da kann man nicht so tun, als hätten beide die gleiche Chance auf ein gutes Leben gehabt. Die Machtfrage muss man immer stellen dürfen und man muss sie immer stellen.
2. Es kommen zwischen Hagar, Sarai und Abram Gefühle wie Überlegenheit/Unterlegenheit, Neidgefühle ins Spiel. Beziehungen zwischen Menschen haben ihre Dynamik. Es wird um Sympathien gekämpft. Es wird gemobbt. Es menschelt an allen Enden. Und wir stehen nicht allein dem Universum gegenüber, das nur darauf wartet, unsere Wünsche zu erfüllen – da sind halt noch ganz viele andere, die an uns ziehen, die uns brauchen, von denen wir abhängig sind. Da läuft nie alles glatt im Leben und Beziehungen hinterlassen nicht selten Wunden. Und die bestimmen dann wieder, wie wir mit neuen Beziehungen umgehen.
3. Gibt es natürlich zwischen 1. und 2. einen Zusammenhang und vielfältige Wechselwirkungen. Wer in wohlhabenden Verhältnissen aufwächst, hat bessere Bildungschancen. Wenn dann noch Partnerin oder Partner aus dem gleichen Miliieu gefunden wird, wächst die Wahrscheinlichkeit auf ein sorgenfreies Leben, das den Vorstellungen vom guten Leben entspricht. Eine beruhigende Vorstellung für Eltern.
Ist es nicht ein bürgerliches Märchen, zu sagen, ja, ärmere Menschen, die können doch genau so glücklich sein, wie die ohne materielle Sorgen. Unter jedem Dach gibt’s doch ein Ach – sowohl im Bungalow, als auch in der Mietskaserne? – Ja, ich glaube, das ist ein bürgerliches Märchen. Mit solchen romantischen Mythen lässt es sich im Wohlstand gut leben, aber nicht, wenn man ständig Geldsorgen hat oder am Existenzminimum lebt.
Unter den bestehenden Machtverhältnissen zwischen Menschen und angesichts unserer Beziehungsverflochtenheit und gegenseitigen Abhängigkeit klappt es also mit dem Manifestieren von Lebenswünschen vermutlich nicht so, wie es behauptet wird.
Menschen suchen dann die Wege des Machbaren und des Naheliegenden, um ihren Wünschen vielleicht doch noch Chancen zu geben.
Und so war Sarai bereit, ihren Abram mit ihrer Sklavin schlafen zu lassen. Sie hoffte, dass daraus doch noch auch ihr Familienglück entstehet.
Es wird ein böses Erwachen gewesen sein, als ihr Plan nicht aufging und Hagar bereits während ihrer Schwangerschaft Schwierigkeiten machte. Es kommt zum Knall: Abram ließ Sarai freie Hand gegenüber Hagar. Hagar floh, weil sie die Demütigungen durch Sarai nicht länger über sich ergehen lassen wollte, in die Wüste.
So weit die menschliche Tragödie – alles Wünschen, Manifestieren und Visualisieren, alles Analysieren und positive Denken, das Mind-Set, das Gebet, die menschliche Schläue der Sarai – nichts hat geklappt.
Wie kommt hier nun Gott ins Spiel?
Er ist im Hintergrund da. Das sehen wir, wenn Sarai zu ihrem Mann sagt: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann.
Sarai handelt so, weil sie Rückschlüsse zieht auf Gott. Sie hat die Vermutung, dass Gott sie unfruchtbar gemacht hat. Und aus diesem tiefen Schmerz heraus handelt sie, wie sie handelt. Sie denkt, sie kennt Gottes Willen. Und sie denkt, sie findet dennoch einen Weg zum Ziel.
Ich spüre da eine enorme Trotzkraft in Sarai. Da ist ein starker Wille am Werk. Aber ist da auch Vertrauen?
Gott tritt dann schließlich aus dem Nebel der Unbestimmtheit heraus. Wer die Geschichte liest, erfährt seinen Willen. Denn wir werden Zeuginnen und Zeugen der Botschaft, die der Engel Hagar bringt.
Und da müssen wir erfahren, dass Gottes Pläne sehr quer liegen können zu den Plänen der Menschen. Hagar soll zurückkehren und sich unter Sarais Hand fügen. – Bitter.
Aber sie bekommt eine Verheißung für ihre Nachkommen, die Aussicht einen Sohn zur Welt zu bringen. Sie bekommt den Namen für das Kind. Einen Namen mit Sinn: der Herr hat dein Elend erhört. Und dann wieder Wermutstropfen: Er wird ein wilder Mensch sein – ständig mit Vielen im Streit und Kampf und im Konflikt mit künftigen Abrahamssöhnen.
Gutes und Schlechtes bekommt Hagar aus Gottes Hand. Für Hagar aber ist entscheidend: Gott sieht mich! Du bist ein Gott, der mich sieht!
Ich durchschaue mein Leben nicht. Ich kann mich bemühen, vielleicht manifestieren, wie ich mir das Leben wünsche. Ich kann es im Gebet vor Gott tragen.
Aber das bessere Gebet wäre es, einfach zu sagen: Du bist ein Gott, der mich sieht. Darauf vertraue ich, wenn Sarai gemein zu mir ist. Darauf vertraue ich hier in meiner im Grunde ohnmächtigen Situation als Sklavin. Darauf vertraue ich, wenn nichts, auch gar nichts bisher darauf hindeutet, dass ich eine starke Nachkommenschaft haben werde, die mich trägt. Darauf vertraue ich, wenn ich mein wildes Kind erziehe und mich das an die Grenze meiner Kräfte führt. In all dem: Du bist ein Gott, der mich sieht.
Liebe Gemeinde,
was für ein unermesslich großer Schatz sind diese Väter- und Müttergeschichten in der Torah, unserem Ersten Testament! Da treffen wir nicht auf strahlende Influencer, Entrepreneurinnen und Erfolgsmenschen.
Die in der Bibel sind alle aus Fleisch und Blut. Und sie kämpfen unseren Kampf mit der Wirklichkeit. Sie mühen sich mit ihren Partnern. Sie schlagen sich mit ihren Kindern herum. Sie kommen in Krisen, verstricken sich in Schuld. Sie suchen ihre mühsamen Wege durch allerlei persönliche Schwächen und Widerstände.
Aber es sind Menschen, die in ihrem Leben irgendwann und irgendwie den Anruf Gottes gespürt haben und da bereit waren, sich darauf einzulassen.
Sie sind Vertrauensmenschen, deren Geschichte uns zeigen soll:
Es lohnt sich, darauf zu vertrauen, dass Gott einer ist, der uns sieht.