Von Ernst und von Missbrauch

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Predigt zum Sonntag Exaudi, Stiftskirche Landau
Pfarrer Dr. theol. Stefan Bauer

1 Samuel 3,1-11
Zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte.
Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war.
Und der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen.
Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart.
Und der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört.
Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. Da kam der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört. Und der Herr sprach zu Samuel: Siehe, ich werde etwas tun in Israel, dass jedem, der davon hört, beide Ohren gellen.

Liebe Gemeinde!
Heute hören wir von einem jungen Mann, der von seinen Eltern dazu bestimmt war, im Heiligtum Gott zu dienen. Es geht um Samuel, den späteren Richter Israels und Prophet.
Die Bibel erklärt uns genau die Umstände, wie es kam, dass Samuel zum ersten Mal Gottes Stimme hörte.
Es geht also darum, zu verstehen, dass Samuel von Gott zum Propheten gemacht wurde, zu einem, dem Gott sein Wort anvertraute, damit er es den Leuten ausrichten konnte.
Da stellt sich die Frage, wie das bei uns ist? Gibt es auch für uns die Möglichkeit, Gott zu vernehmen? Auch wenn wir keine Tempelschüler sind, die ihr ganzes Leben Gott weihen? Darüber später mehr.
Bis es damals so weit kam, dass Samuel verstand und begriff, dass Gott eine Botschaft für ihn hatte, dreht die Geschichte mehrere Loopings, Schleifen, wie man sie manchmal im Leben braucht, um etwas zu begreifen.
Wir werden Zeuginnen und Zeugen eines Begreifens, das sich nur ereignet, weil der junge Prophetenschüler Samuel zu nachtschlafender Zeit mit seinem betagten und übrigens extrem übergewichtigen Meister interagiert, dem Propheten und Priester Eli. Nur mit vereinten Kräften gelingt es ihnen, auf Gottes Botschaft und Auftrag angemessen zu reagieren.
Stellen wir uns die Akteure vor: Wir erfahren, dass Eli auf seinem Lager am Einschlafen war. Es dämmerte, er sah kaum noch etwas. Noch brannte das Öllicht im Hauptraum des Heiligtums, wo die Bundeslade stand. Ein Gegenstand aus der Wüstenzeit Israels, der als aufgeladen mit Gottes Macht und Herrlichkeit galt. Die erwähnte Öllampe würde wahrscheinlich im Verlauf der Nacht verlöschen. Es war demnach erst die Zeit des Sonnenuntergangs. Das ist natürlich eine Zeit des Zwielichts. Wie geschaffen für wunderliche Begegnungen und Ereignisse besonderer Art.
Samuel selbst lag im Hauptraum des Heiligtums in der Nähe der Bundeslade. Ich stelle ihn mir vor: Ein Knabe mit langem Haar, denn das war das Kennzeichen der Gottgeweihten, Zeichen für ihr Gelübde. – Schon mit drei Jahren hatte ihn seine Mutter Hannah zusammen mit Opfergaben zum Heiligtum nach Silo gebracht und der Priester Eli hatte ihn in seine Obhut genommen.

Samuel fühlte sich wohl dort. Er war gern in der Nähe Gottes im Heiligtum. Er wollte alles richtig machen und nahm seine Aufgaben ernst.
Die jüngste Kirchengeschichte lehrt uns leider, dass es auch anders gehen konnte und kann, wenn Kinder in die Obhut religiöser Einrichtungen kommen, in Internate oder Waisenhäuser, in Seminare oder einfach bei kirchlichen Freizeitangeboten mitmachen.
Samuel hatte Glück. Samuel respektierte seinen Lehrer zurecht. Denn Eli wird als ein geduldiger und freundlicher Mann beschrieben.
Von seinen Söhnen, die auch Priester waren, wird dagegen berichtet, dass sie ihre Position missbrauchten und auch Menschen missbrauchten. Sie schliefen mit Frauen, die am Heiligtum dienten und sie nahmen sich vom Opferfleisch Stücke, die ihnen gar nicht zustanden.
Samuel hatte Glück.

Er war schon am Einschlafen an diesem Abend als er seinen Namen rufen hörte. – Er dachte, Eli hätte ihn gerufen. Vielleicht brauchte der alte Mann noch etwas?
Samuel ging zu Eli. Aber Eli sagte, er habe gar nicht gerufen und Samuel solle doch schlafen.
Und das passierte insgesamt drei Mal, bis Eli klar wurde, dass Samuel Gottes Stimme hörte.
Eli selbst hatte vielleicht mit so etwas gar nicht mehr gerechnet. Aber er war erfahren genug, um zu wissen, wessen Stimme den Samuel da gerufen haben könnte. Eli wusste aus eigener Erfahrung, dass Gott Menschen ansprach und seine Botschaften über ausgewählte Menschen dem Volk oder bestimmten Leuten ausrichten ließ.

Dass Gott Samuel rief, das war außergewöhnlich. Das war schön. Gott hatte sich Samuel ausgesucht, um mit ihm zu sprechen. Eli’s Söhne hatten es sich mit Gott verscherzt. Kein Wunder, dass wir erfahren, dass Gott sich kaum noch offenbarte. Da war niemand mehr am Heiligtum, der als Bote für Gottes Wort in Frage gekommen wäre. Und so war Eli froh, dass Gott überhaupt noch reden wollte, stelle ich mir vor. Denn Eli wusste, was seine Söhne trieben und er hatte sie deshalb zur Rede gestellt. Aber das hatte nichts genutzt. Sie taten weiter ihr Ding.

Aber Samuel, er sollte jetzt alles richtig machen. Eli trug ihm auf, er solle, wenn er seinen Namen jetzt noch einmal höre, sich als gehorsamer Knecht zeigen: „Ja, Herr, sprich, ich bin dein Diener und höre dir zu.“
Samuel machte es genau so, wie sein Lehrer es ihm geraten hatte. Wir hören, dass Gott herzu kam – stand nicht die Bundeslade dort? Der Gegenstand seiner heiligen Nähe? – Gott rief den Samuel diesmal sogar zwei Mal mit Namen. Und Samuel war bereit: „Rede, denn dein Knecht hört!“ Samuel war demütig vor Gott und aufmerksam.
Gott sagte ihm nichts Angenehmes. Seine Botschaft war belastend für den Jungen. Gott sagte Geschehnisse an, die im ganzen Volk Israel für Aufregung sorgen würden: „Jedem, der davon hört, werden beide Ohren gellen.“ So hat Luther übersetzt. Ein Paukenschlag wurde da angesagt. Tatsächlich wurde wenig später die Bundeslade von den feindlichen Philistern erobert. Israel würde die heiligste Erinnerung an seine Wüstenwanderung verlieren – an den Akt der Befreiung aus Ägypten. Das würde das Ende des Heiligtums sein. – Doch Gott kündigte nur einen Paukenschlag an, ohne konkret zu werden.
Aber in anderer Hinsicht wurde er konkret: Denn Gott vertraute Samuel an, dass er, Gott, die Familie von Eli richten werde. Und es gebe keine Vergebung für sie – wegen der Verbrechen der Söhne Eli’s.
Das war nun ein schwerer Brocken für den jungen Samuel, diese Hiobsbotschaft seinem guten Lehrer Eli ausrichten zu müssen. Samuel, so kann man weiterlesen, schlief bis zum Morgen und öffnete dann die Türen des Heiligtums, so wie es sein Dienst vorsah. – Dann kam der Moment der Wahrheit gegenüber Eli, denn Eili wollte alles wissen, jedes Wort, das Gott gesprochen hatte. Und Samuel richtete es Wort für Wort aus.

Und die Leute begannen, Samuels Worte ernst zu nehmen, denn Gott sprach zu ihm durch sein Wort, hieß es.

Liebe Gemeinde,
am Sonntag vor Pfingsten ist Samuel für uns ein Vorbild für die Bereitschaft, Gottes Wort zu hören, empfangsbereit zu sein und das Gehörte dann auch ernst zu nehmen.
Er vertraut darauf, dass Gott ihm nahe kommt und zu ihm spricht.
Am Sonntag vor Pfingsten erinnert mich Samuel im Heiligtum an die versammelten Jüngerinnen und Jünger Jesu, die sich in ihrem Raum in Jerusalem eingeschlossen hatten. Ratlos, aber voller Erwartung und Geduld, empfangsbereit nach oben. Erwartungsvoll harrend auf die Hilfe und den Trost, den Jesus ihnen versprochen hatte.

Ich möchte Samuel als Vorbild nehmen für eine Haltung, die Gott ins Leben einbezieht, für einen Glauben, der erwartungsvoll mit Gottes Wort in seine Zeit rechnet, für eine Offenheit zu Gott hin, die im heutigen Leben so schwer zu fallen scheint. Doch warum sollen nicht auch wir diese offene, erwartende, hoffende, harrende Haltung Samuels einnehmen können? Auch heute, in Zeiten von Zeitdruck und Erschöpfung, von Überforderung durch Informationsflut, in Zeiten von Überforderung durch den ständigen Zwang, sich selbst von außen zu betrachten und die eigene Einzigartigkeit zu betonen.

Was tat Samuel?
Das eigene Leben als mit Gott verbunden verstehen.
Annehmen, dass Gott eine wichtige Rolle spielt.
Das Leben als eine Vorbereitung auf Gott begreifen,
als ein Weg, der immer mehr zu Gott führt,
bis der Weg an seinem Ende ankommt.
Sich in den besonderen Raum begeben,
der dafür hergerichtet ist, Gottes Nähe zu spüren.
Wo die Menschen hinkommen mit ihrem Dank und
ihren Sorgen, auf der Suche nach Gemeinschaft und
Verständnis, nach Solidarität,
auf der Suche nach den erprobten Ritualen.
Sich in den besonderen Raum begeben zum Beten.

Auch wie Samuel mit seinem Haar, ruhig erkennbar werden lassen und nach außen zeigen, dass ich an Gott glaube. Ein kleines Kreuz, das ich mir umhänge, vor dem Essen die Hände falten oder den Kopf senken zum Dank.
Nicht, um sich von anderen abzuheben oder sich moralisch fromm über sie zu erheben, sondern als Zeichen für Gott: Ich halte zu dir. Ich rechne mit dir. Ich stehe zu dir – auch in der Öffentlichkeit. Ich biete auch dir, der du auch glaubst, meine Hand. Denn es gibt kaum etwas Schöneres, als mit Anderen den Glauben zu teilen.
Nur, wie soll man es erkennen, wenn es nicht gezeigt wird, wenn es am Ende nur noch im Verborgenen geschieht. „Religion ist Privatsache“ – das wäre kein Satz des Samuel gewesen. Sich erkennbar machen als jemand, der Gott ehrt.

Was ich noch bei Samuel finde:
Sein Sich-Gedulden in den täglichen Aufgaben. Er öffnet morgens die Türen, er steht an den Opfertischen, sauber mit Schürze und einem Hemd, von der Mutter gewebt und genäht, das sie bei ihrer jährlichen Wallfahrt ihrem Sohn, dem Priesterschüler mitbringt.
Samuel ist gewissenhaft. Er respektiert die Menschen, die mit ihren Anliegen zum Heiligtum kommen und ihre Hilfe von Gott erhoffen. Samuel stellt diesen Menschen nichts in den Weg. Er stört nicht durch unangepasstes Verhalten. Er nutzt nicht die Bedürftigkeit zum eigenen Vorteil.
Gewissenhaftigkeit in den Aufgaben, die einem übertragen sind als Respekt gegenüber Gott und den Menschen.
Samuel hört hin. Er ist aufmerksam. Er hört Gottes Ruf, obwohl er noch gar nicht weiß, dass Gott es ist, der ihn ruft. Samuel denkt dabei vernünftig. Es muss Eli sein, der gerufen hat. Samuel fragt nach und sorgt sich. Er traut seinen Ohren und überhört auch Unbequemes nicht. Samuel ist beharrlich. Er fragt immer wieder nach. Auf die Gefahr hin, zu nerven. Das riskiert er. Er schämt sich nicht.
Antworten, wenn Gott ruft. Bereit sein für die Botschaft.
Vielleicht hören wir heute keinen Ruf. Aber wir lesen davon. Auch wir sind bereit, uns ansprechen zu lassen, von dem, was Gottes Wort uns heute – und nur uns in dieser Form, offenbart und eröffnet und sagt.
Samuel zeigt mir, dass das eine ernste Aufgabe ist, auch in meinem Leben.
Auch in Ihrem und Eurem Leben. Ernst und lohnend.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.