Scheidung: Der Mensch geht vor!

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Predigt gehalten am Sonntag, den 22. Oktober 2023 in der Matthäuskirche Landau von Pfr. Dr. theol. Stefan Bauer über Markus 10,2-16
Jesu Wort zur Scheidung und zu den Kindern

Liebe Gemeinde,
dieses Jahr traute ich ein junges Paar in der Stadtkirche in Annweiler. Der Tag war ein wenig chaotisch – wir kamen zuerst nicht in die Kirche hinein, der Organist kam auch zu spät. Nach der Trauung, als ich am Aufräumen war, kam ein aufgebrachter Mann auf mich zu. Er fragte mich vorwurfsvoll, wie ich denn so etwas noch sagen könnte: Füllet die Erde und machet sie euch untertan.
Es wäre doch schrecklich, wie heute die Menschheit die Erde ausplündere und zerstöre. Ich würde das durch diese heute unverständlichen Worte, wenn ich sie unkommentiert sage, nur noch verstärken.
Der Mann machte mich nachdenklich. Ich war der Meinung, dass doch alle sich der Bedeutung der Bibelworte bewusst wären – dass wir eine Verantwortung für die Schöpfung haben. Dass sie nicht wörtlich zu nehmen sind. Aber vielleicht kann man davon heute wirklich nicht mehr ausgehen, dass die Menschen, die zuhören, das einfach so verstehen.
Ich merke, dass man die Bibelworte immer mehr erklären muss. Ihr Hintergrund und auch ein Grundverständnis, wie die Worte heute zu verstehen sind, das ist keine Selbstverständlichkeit.
So ist es auch mit den Worten Jesu über die Ehe. Wenn man sie einfach so sagt und stehen lässt, dann führt das in Missverständnisse.

Die Zeiten des Alten Testaments, die wollen wir wahrhaftig nicht mehr erleben oder dahin zurückkehren. Es waren Zeiten, in denen Frauen und Kinder keine Stimme hatten. Damals wurde man schon als Kind für die Ehe be-stimmt. Die Eltern der künftigen Braut und des Bräutigams handelten das aus.
Natürlich gibt es so etwas auch noch heute. Vielleicht vor allem auf dem Dorf, aber auch in unserem städtisch-bürgerlichen Milieu, ist es da nicht nach wie vor beruhigend und schön, wenn Sohn oder Tochter eine gute Partie macht? Und fordert nicht die Jugend, die Zeit der Partnerwahl noch einmal erhöhte Aufmerksamkeit, dass die Kinder auch mit den richtigen Freunden zusammen sind?
Andererseits, manche vermeintlich gute Partie hat sich schon als eheliche Hölle herausgestellt. Wie gut, wenn man aus einer Beziehung wieder heraus kann! – Auch wenn der Trauschein unterschrieben war. Die finanzielle Abhängigkeit von Frauen, die die Spielräu-me einschränken kann, die kann noch heute schwierige Machtverhältnisse hervorbringen.

Zur Zeit des Alten Testaments gab es nur Regelungen für eine Scheidung, die vom Mann ausging. Wir wollen doch heute nicht ernsthaft, die Worte so verstehen und anwenden, wie sie damals die Pharisäer mit Jesus diskutierten? Wir wollen doch nicht ernsthaft wieder zurück in Zeiten, in denen Frauen ihre Männer fragen mussten, wenn sie arbeiten gehen wollten?
Wenn wir das alles nicht mehr wollen, weil wir sagen, das Menschenbild hat sich geändert – Frauen sind genau so Menschen, wie Männer, dann können wir aber auch nicht einfach die Auffassungen von Scheidung wieder so übernehmen. Und ist nicht gerade unser Text ein Beispiel dafür, dass auch damals über die geltenden Gebote und Gesetze diskutiert wurde? Dass die gesellschaftlichen Zustände fraglich geworden waren? Dass da ein Konflikpotential war? – Warum hätten die Schriftgelehrten sonst mit Jesus über das Thema sprechen wollen – wenn alles klar gewesen wäre? Und wenn man genau hinhört, dann erkennt man auch bei Jesus schon eine Veränderung zur alttestamentlichen Zeit. Jesus lehnt das alte Scheidungsrecht ab. Er sagt, es ist herzlos und ungerecht. Es sei nur deshalb in den Büchern Mose, weil die Menschen so hartherzig sind.
Jesus sieht wie immer den Menschen an erster Stelle – und zwar, weil er Gott an erste Stelle stellt und Gott die Men-schen liebt.
Und so beschreibt hier Jesus, wie Gott es eigentlich ge-meint hat zwischen Mann und Frau. Sie gehören zusam-men. Sie sind im wahrsten Sinn die Keimzelle des Lebens in der nächsten Generation. Gott hat gewollt, dass Men-schen einander in Liebe verbunden sind – nicht, dass sie in gegenseitiger Verbitterung eine bürgerliche Ehe auf dem Papier führen.
Jesus sind die Frauen wichtig. Er betont, dass ein Mann, wenn er heiratet, den Einflussbereich seiner Eltern verlässt. Damit die Frau nicht unter ihren Schwiegereltern zu leiden hat. – So gleichen sich die Kräfteverhältnisse aus. Der Mann hat vielleicht die stärkere Position durch seine Arbeit. Aber die Frau hat die stärkere Position am Lebensort des Ehepaares, denn das Paar lebt dort, wo die Familie der Frau ihr Rückhalt gibt. Jesus sind auch die Kinder wichtig. Das wird aus den Wor-ten der Kindersegnung ganz deutlich. Nie wurde Jesus so wütend, wie es an dieser Stelle heißt. Er wurde zornig ge-gen seine Jünger und er wandte sich den Kindern zu – er erfüllte damit auch den Wunsch der Mütter, die ihm die Kinder brachten.

Liebe Gemeinde,
wir leben nicht mehr im Mittelalter und erst recht nicht im Alten Orient. Wir leben hier und heute. Wir sehen dankbar, dass unser Zivilstand, die Ehe, die Formen des Miteinanderlebens, nicht mehr Sache der Kirche sind. Den großen Schritt verdanken wir Napoleon und seinem Code civil. Das bedeutete für Europa damals das Ende von Diskriminierungen der Rechtsprechung von Gottes und Königs Gnaden.
Das bedeutete den Anfang von Emanzipation z.B. für jüdische Bürgerinnen und Bürger.

Jesus bleibt für Christinnen und Christen der Maßstab der Menschlichkeit. Wir werden von ihm immer den Satz mitnehmen, dass der Sabbat und alle Gebote nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Menschen willen da sind. Das wird uns immer helfen können gegen totalitäres und fundamentalistisches Denken, gegen Unmenschlichkeit, die sich hinter Gesetzen verschanzt, gegen alte und neue Diskriminierung. Der menschliche Blick Jesu hilft uns auch heute, zu verstehen, dass das mit Mann und Frau manchmal nicht so eindeutig ist.
Ich hatte eine Vikarin, die lebte schon lange mit einer an-deren Frau zusammen. Die beiden sind ein ganz liebes Paar und ich durfte die Ansprache bei ihrer kirchlichen Trauung halten. Diese zwei Frauen – eine Pfarrerin, die Erzieherin – haben damals ein Pflegekind aufgenommen, das sie inzwischen adoptie-ren konnten. Das ist eine völlig normale Familie. Das hat überhaupt nichts anrüchiges oder problematisches. Nur durch die Gesellschaft wird es problematisch gemacht. Weil wir nicht akzeptieren wollen, dass es in der Vielfalt der Schöpfung ganz unterschiedliche Ausprägungen der Liebe zwischen Menschen gibt. Die bürgerlichen Moralvorstellungen verhinderten damals zu Jesu Zeiten und verhindern auch heute, dass Menschen einfach glücklich sein dürfen miteinander.

Manche von uns heute hier sind verheiratet, andere nicht, andere sind in einer Beziehung. Ich hoffe, dass niemand Ehe und Beziehung als ein Machtverhältnis erleben muss. Ich hoffe, alle können sagen, Sie haben einen guten Menschen als Partnerin oder Partner. Ich hoffe, alle haben ihren gemeinsamen Weg gefunden, bei dem für beide Partner Glück eine Rolle spielen darf. Und wenn eine Ehe auseinandergeht, dann ist das ja niemals leicht zu verwinden. Und dann wäre es schlimm, eine solche Lebenskirse auch noch mit einem scheinbar unbarmherzigen Gott zu belasten. Oder mit einem Jesus, der die Scheidung angeblich verboten hat.
Jesus, liebe Gemeinde, hat sich jeden Menschen genau angesehen. Er hat auf jeden Menschen auch anders reagiert. Er betrachtete den einzelnen Fall. Und er eröffnete Wege zu einem heilen Leben.
Das gute Leben des Menschen steht also bei ihm im Vor-dergrund, das Leben aus der Quelle von Gottes Liebe.
Und da sieht Christus gerade auf das, was wir selbst vielleicht als Scheitern erlebt haben.
Bei Jesus aber ist ein neuer Anfang möglich, eine Umkehr zum Leben. Dem Leben zuliebe.
Sagen wir also einfach, dass wir weder mit den frauenfeindlichen Äußerungen der Bibel, noch mit der Verurteilung von Homosexualität, noch mit der Sicht des Kindes als eines Sklaven heute noch etwas anfangen können.
Sagen wir also -wir wollen den Buchstaben nicht mehr hochhalten, denn das ist grausam, den Buchstaben und das Bibelwort über den Menschen zu stellen.
Sagen wir also, wir wollen im Sinne Jesu die Dinge betrachten. Im Sinne dessen, was im jeweiligen Fall lebensdienlich ist.