Predigt vom 5.11.2023, Matthäuskirche Landau, von Vikar Maximilian Kölsch
Römer 8,18-25
18Ich bin überzeugt: Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet. Gott wird sie an uns offenbar machen. 19Die ganze Schöpfung wartet doch sehnsüchtig darauf, dass Gott die Herrlichkeit seiner Kinder offenbart. 20Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen –allerdings nicht durch eigene Schuld. Vielmehr hat Gott es so bestimmt. Damit ist aber eine Hoffnung verbunden: 21Denn auch die Schöpfung wird befreit werden aus der Sklaverei der Vergänglichkeit. Sie wird ebenfalls zu der Freiheit kommen, die Gottes Kinder in der Herrlichkeit erwartet. 22Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute. 23Und nicht nur sie: Uns geht es genauso! Wir haben zwar schon als Vorschuss den Geist Gottes empfangen. Trotzdem seufzen und stöhnen auch wir noch in unserem Innern. Denn wir warten ebenso darauf, dass Gott uns endgültig als seine Kinder annimmt. Dabei wird er auch unseren Leib von der Vergänglichkeit erlösen. 24Denn wir sind zwar gerettet, aber noch ist alles erst Hoffnung. Und eine Hoffnung, die wir schon erfüllt sehen, ist keine Hoffnung mehr. Wer hofft schließlich auf das, was er schon vor sich sieht? 25Wir aber hoffen auf etwas, das wir noch nicht sehen. Darum müssen wir geduldig warten.
Ein klein wenig Hoffnung, das brauchen wir gerade alle. Den Silberstreif am Horizont, wie es so schön heißt. Überall auf der Welt gibt es Konflikte und Kriege, Auseinandersetzungen und Streit, Veränderungen und Probleme. Paulus Worte passen zu gut in diese Zeit: „Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt.“ Damit meint er nicht nur uns Menschen, sondern die gesamte Schöpfung Gottes. Jedes Tier und jede Pflanze, leidet ebenso unter den Kriegen, den Auseinandersetzungen um Rohstoffe, dem Klimawandel. Auch wenn uns Paulus versucht Mut zu machen und uns Hoffnung zuzusprechen, dass das Reich Gottes kommen wird, so wäre ein Lichtblick, ein kleiner Teaser darauf, dass alles doch noch gut werden kann, enorm hilfreich. Eine kleine Flamme der Hoffnung. Paulus vertröstet uns aber und sagt, dass wir Geduld brauchen. Hoffen kann man nur, wenn man nicht sieht, ob die Hoffnung in Erfüllung geht.
Als ich den Text zum ersten Mal gelesen habe, war mein erster Gedanke: „Hilfe, das ist mir alles viel zu viel.“ Täglich gibt es neue erschütternde Nachrichten, selten gibt es Gute oder wenn, dann gehen sie in dem ganzen Sturm an Informationen, die tagtäglich über uns hereinbrechen, unter. Heutzutage ist es leicht an Nachrichten aus aller Welt zu kommen: Soziale Medien, Nachrichtenportale, Videoplattformen. Informationen sind leicht abzurufen. Sie können einem fast erschlagen. Dann die Hoffnung auf Besserung zu behalten ist nicht einfach. In der Zeit des Paulus gab es diese Flut an Informationen nicht. Und trotzdem hatten die Menschen im ersten Jahrhundert nach Christus ihre eigenen Probleme. Zur Zeit des Römerbriefes versuchten die christlichen Hausgemeinden in Rom sich zu etablieren und ein eigenes Profil auszubilden. Und damit standen sie auch immer im Konflikt mit anderen Gruppen außerhalb und mit verschiedenen Meinungen innerhalb der Gemeinden. Nach außen hatten die christlichen Gemeinden mit ersten Verfolgungen zu kämpfen. Unter dem römischen Kaiser Claudius wurden ab dem Jahr 49 nach Christus Jüdinnen und Juden aus Rom vertrieben. Da die Römer anfangs nicht zwischen jüdischen und christlichen Gemeinden unterschieden, traf das auch die Christinnen und Christen. Das hatte zur Folge, dass sich die christlichen Gemeinden in Rom als eigene Gemeinschaft abseits des Judentums profilieren wollten. So überlegte man sich mehr und mehr, welche Aspekte des Judentums man beibehalten wollte und welche nicht. Das führte zu Streitigkeiten innerhalb der Gemeinden. Beispielsweise ging es dann um Fragen nach Speisegeboten oder um die Art und Weise, wie man Gottesdienst feiern sollte. Die Meinungen müssen teilweise stark auseinander gegangen sein. Fronten prallen aufeinander, Kompromisse scheinen teilweise unmöglich. Und dann ist da noch die allgegenwärtige Gefahr der Verfolgung und Ausgrenzung. Die Stimmung war angespannt. Und in diese Situation hinein schreibt Paulus seinen Brief an die römischen Gemeinden. Er will Mut machen: „Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet“, schreibt er. Auch wenn ihr das Reich Gottes noch nicht seht, seid gewiss, dass es kommen wird. Hofft darauf, auch wenn es schwer ist. Paulus ist sich dessen bewusst und mahnt deshalb zu Geduld. Es wird kommen, dessen ist er sich sicher.
Wenn ich über diese Einstellung und diese Hoffnung nachdenke, muss ich an meine Oma und ihre Lebensgeschichte denken. Vor dem zweiten Weltkrieg geboren und währenddessen aufgewachsen, erlebte sie die Zerstörung und den Wiederaufbau der Nachkriegszeit mit. Gerade die Zeit ihrer Kindheit fand ich immer sehr spannend. Manchmal habe ich sie auch danach gefragt. Sie erzählte mir dann, wie es für sie war als Kind, zeigte mir die Höhlen im Wald, in denen sie und ihre Familie sich versteckten, wenn Flugalarm war. Sie erzählte vom Ende des Krieges, den Amerikanern, die durch unser Dorf kamen, wie sie von den Soldaten das erste Kaugummi bekam. Ich hörte ihr dann immer gebannt zu. Im Nachhinein frage ich mich oft, wie es ihr in dieser Zeit ging, was sie gedacht und gefühlt hat. Wenn ich über ihre Geschichten nachdenke, dann fällt mir auf, dass sie rückblickend immer sehr hoffnungsvoll erzählt hat. Diese Zeit war ihr Leben. Auch wenn es voller Entbehrungen und Leid war und nicht immer so hoffnungsvoll war, wie sie es erzählte. Sie und ihre Familie und die Menschen um sie herum machten weiter und versuchten sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Sie hofften darauf, dass es besser werden wird. Seit meinem Vikariat konnte ich durch Besuche oder Trauergespräche viele solcher Biografien begegnen. Menschen, die schlimme Dinge erlebt haben, auf der Flucht waren oder ihr Zuhause verloren haben. Und dennoch ging es irgendwie weiter. Nicht immer den einfachen Weg, selten gerade aus und manchmal auch in die falsche Richtung. Doch die Hoffnung auf ein gutes Leben, auf etwas Besseres scheint oft gerade in solchen Lebensgeschichten am stärksten zu sein. Auch wenn es viele Menschen gibt, die nicht weitermachen können, die hoffnungslos sind, bewundere ich jeden kleinen Schritt, denn diese Menschen ganz für sich selbst gehen können, auch wenn sie das selbst nicht sehen. Und das beeindruckt mich zutiefst.
Mir fällt das zusehends schwer. Ich bin behütet und in einer sicheren Umgebung aufgewachsen. Auch wenn ich nicht direkt von Krieg und Konflikten betroffen bin, machen mich die Nachrichten aus der Ukraine, Israel und Gaza aktuell traurig und hilflos. Die Klimakatastrophe, die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft erwecken in mir mehr denn je eine Sehnsucht nach Frieden. Wenn ich morgens auf das Handy schaue und Nachrichten lese, dann seufzt und stöhnt alles in mir. Und in diese Zeit, in dieses Gefühl, spricht Paulus. Er weiß, dass es den Christinnen und Christen in Rom nicht gut geht. Hoffen kann man nur, wenn man den Ausgang der Geschichte noch nicht kennt, sagt er. Aber seid gewiss: Gott hat uns angenommen und wird uns erlösen. Darauf dürfen und können wir hoffen. Und sei der Funken noch so klein.
Paulus spricht dabei von uns als den Kindern Gottes. Er stellt uns damit in eine Beziehung mit Gott. Etwas weiter vorne im selben Kapitel des Römerbriefs spricht Paulus davon, dass wir Gott „Abba“, also Vater, nennen können. Genauso wie Jesus es getan hat. Wir sind also Kinder Gottes, mit allen Rechten und Pflichten. Wenn Paulus hier von einer Kindschaft spricht, dann meint das im hellenistischen Sinne, dass wir von Gott adoptiert wurden. Damit sind wir Erbinnen und Erben Gottes. Gott bekennt sich zu uns und traut uns zu, sein Erbe zu verwalten. In der Dimension der Erbschaft, kann man auch Paulus Argument des Hoffens verstehen. Auch wenn wir schon gerettet sind, sagt der Apostel, bewegt sich doch alles im Bereich des Hoffens. Genauso verhält es sich mit einer Erbschaft. Auch wenn wir jetzt schon Erbinnen und Erben sind, haben wir das Erbe noch nicht. Es steht noch aus und wir können es in Zukunft erhalten. Somit verweist es auf eine in der Zukunft offenen Gegenwart, die Paulus hier mit dem Begriff der Hoffnung aufgreifen will.
Es klingt wie ein Traum, den Paulus hier beschreibt. Gott hat uns angenommen und wir sind ihm wichtig. Sogar so wichtig, dass wir seine Erbinnen und Erben sein dürfen. Wenn wir träumen, dann bewegen wir uns oftmals auch zwischen Gegenwart und unserer Vorstellung von der Zukunft. Wenn wir von einer anderen, besseren Zukunft träumen, dann machen wir diesen Raum auf. Meine Hoffnung und damit mein Traum ist es, dass das Reich Gottes, in dem die gesamte Schöpfung in Frieden und Freiheit miteinander leben kann, in dem niemand Angst um seine Existenz haben muss, kommen wird. Meine Überzeugung ist es auch, dass wir schon jetzt dazu beitragen können, dem Reich Gottes etwas näher zu kommen. Für mich, kann das auch der Funken sein, der die Hoffnung auf die Zusage und das Angenommen sein durch Gott, am Leben erhält.
Dieser Traum und damit die Hoffnung auf eine bessere Welt hat der deutsche Liedermacher Gerhard Schöne mit seinem Lied „Lass uns eine Welt erträumen“ meiner Meinung nach gut auf den Punkt gebracht:
„Lass uns eine Welt erträumen, die den Krieg nicht kennt, wo man Menschen aller Länder seine Freunde nennt, wo man alles Brot der Erde teilt mit jedem Kind, wo die letzten Diktatoren Zirkusreiter sind.
Lass uns eine Welt erträumen, wo man singt und lacht, wo die Traurigkeit der anderen selbst uns traurig macht, wo man, trotz der fremden Sprache, sich so gut versteht, dass man alle schweren Wege miteinander geht.
Lass uns eine Welt erträumen, wo man unentwegt Pflanzen, Tiere, Luft und Wasser wie einen Garten pflegt, wo man um die ganze Erde Liebesbriefe schreibt, und dann lass uns jetzt beginnen, dass es kein Traum bleibt.“
Amen