Glaube – Leidenschaft für das Mögliche!

image_pdfPDF herunterladenimage_printText drucken

Predigt über Matthäus 4,1-11 von Pfr. Dr. Stefan Bauer, Invokavit 2024

Liebe Gemeinde,
„und wenn die Welt voll Teufel wär,“ dann können wir doch nicht einfach sagen, „wir sind alle Geschwister!“
Dann können wir doch nicht einfach vor den Opfern sexualisierter Gewalt sagen, „jetzt ist vor allem Versöhnung wichtig!“
„Wenn die Welt voll Teufel wär“ und man sagt zugleich – „jetzt müssen wir vor allem geschwisterlich zusammenhalten“, dann werden Opfer verhöhnt. Denn das ist der Kern des Bösen – es geht über Leichen.
Wir können aus unserer Warte nicht einfach sagen, die Opfer des Ukrainekriegs oder die Opfer in Israel oder Gaza sollen so oder so handeln.
Die Opferperspektive darf nicht übersehen und übergangen werden. Man darf sie auch nicht einfach stellvertretend einnehmen.
„Wenn die Welt voll Teufel wär“, dann heißt das, auf den Impuls des Harmonisierens verzichten und widerstehen!
Heute sind wir eingeladen, zu sehen, wie Jesus dem Bösen widerstand. Wir haben gehört, dass nicht am Ende Teufel und Jesus versöhnt aus der Wüste zurückkamen.
Es ist auch nicht von einer Begnadigung des Teufels die Rede. – Es gibt am Ende nur einen, dem die Engel dienen, weil er widerstanden und sich dem Bösen nicht gemein gemacht hat.

40 Tage verbrachte Jesus dort in der Wüste.
40 Tage geht die jährliche Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karsamstag.
Religiöse Übungen wie das Fasten schleifen sich gern ab. Und dann werden aus Fastenspeisen Herrgottsb’scheißerle. Und aus dem solidarischen Verzicht werden Lifestyle-Aktionen, Alkoholabstinenz, Diät, Handyverzicht und Klimafasten.
Mit Jesus fasten heißt aber im Kern, in körperlichem Verzicht ein Stück des Kreuzwegs solidarisch mitgehen.
Für Jesus waren die vierzig Tage Wüste der Nachvollzug der 40 Wüstenjahre seines Volks. Nach der Befreiung aus Ägypten zog eine ganze Generation durch die Wüste. Niemand von den Befreiten kam im gelobten Land an. Die Generation der Befreiung starb unterwegs.
Es war ein langes, mühsames Aneinandergewöhnen von Gott und seinem Volk. Es war eine Geschichte der Widerstände Israels, der strengen und liebevollen Leitung Gottes und der wieder und wieder vollzogenen Rettung.
40 Jahre waren die große Vertrauensübung auf diesen Gott des Bundes, die Wüste war Israels Glaubensschule. Danach hat Israel alles überstehen können, bis heute.
Und so war auch Jesu Weg in die Wüste ein spiritueller Weg, ein Weg der Bewährung und seines Vertrauens auf den, den er Vater nannte.
Die Wüste gibt für diese Prüfungen und Bewährungen den Rahmen. – Warum? Weil sie alles reduziert, alles abstreift, was nicht unmittelbar existentiell ist.

Von dem Wüstenkenner Antoine de Saint-Exupéry stammt der Satz: Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.
In der Wüste kann man nichts mehr wegnehmen. Alle Zusätze werden weg-geläutert, wie wenn man Gold oder Silber läutert. – In der Wüste ist nur der pure Mensch in seinem Menschsein vor Gott.
Die Wüste ist daher in erster Linie ein Ort der Wahrheit. Da kannst du nichts vertuschen. – Und so war für Jesus in der Wüste der Moment der Wahrheit gekommen.

Jesus erlebte in der Wüste die Konfrontation mit dem Bösen. Der Teufel machte drei sehr verlockende Angebote:
Was wäre, wenn Jesus aus den Steinen Brot gemacht hätte? – Sein eigener Hunger wäre gestillt worden. – Aber dann doch auch der Hunger der Welt!
Was für ein Festtag wäre es, wenn es überhaupt keinen Hunger mehr gäbe – weil aus Steinen Brot wird.
„Befehle den Steinen, Brot zu werden!“
„Befehle!“
Im Kern besteht diese erste Versuchung in dem Drang, die Welt zu retten. – Wenn wir uns daran abarbeiten, die Welt zu retten, dann hat uns letztlich der Teufel beim Wickel. Es ist eine gigantische Anmaßung, wenn wir meinen, das wäre unsere Aufgabe. – Fasten heißt, das loszulassen, die Welt retten zu wollen. Ich bin selbst noch dabei, das zu lernen.
Die Antwort, die Jesus dem Versucher gibt, offenbart, wessen Aufgabe es eigentlich ist, die Welt zu retten – es ist allein die Aufgabe von Gottes Wort! – Wir sind gefangen in Selbstüberschätzung und kreisen in der Mühle der Überforderung unserer Zeit, wenn wir dem Impuls folgen, es hänge an uns, die Welt zu retten. – Es ist Gottes allein!

Das zweite Angebot: Es erinnert mich an manche Extremsportarten. Stürz dich herab von der Mauerzinne des Tempels, dort wo er am höchsten ist. Stürz dich den Tempelberg hinab und genieße den Kitzel, den Rausch der Geschwindigkeit, den Reiz, den eigenen Hals zu riskieren, den ultimativen Kick.
Im Kern dieser Versuchung steckt die moderne Botschaft vom grenzenlosen Willen des Menschen: „Du kannst alles, wenn du nur willst!“ – „Lass dir von niemandem einreden, du könntest es nicht!“ – „Du musst es richtig wollen, dich fokussieren, dich optimieren – dann kommst du ans Ziel!“
Das ist die wohl verbreitetste Heilsbotschaft unserer Zeit. Das Versprechen, dass der Erfolg nur an deiner Leistungsoptimierung hängt. – Wenn diese neoliberale Botschaft ankommt, dann hat uns das Steigerungsspiel am Haken. Dann funktionieren wir. – Die Botschaft „Du kannst alles!“ ist aber verlogen in einer Welt ungleicher Chancen. Sie ist einfach unwahr in einer Welt voller unvollkommener Geschöpfe, die im Kern auf gegenseitiges Mitgefühl angewiesen sind.

Und dann der dritte Versuch: Alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Es ist die Versuchung der Macht. Die Illusion, dass man unkorrumpiert auf Thronen und in Chefsesseln landen kann. Die Illusion, dass man, bekommt man erstmal die Macht dazu, dem Guten zum Durchbruch verhilft.
Wer aber davor dem Verwirrer, dem Teufel, huldigt, der wird danach die Dinge nicht mehr ordnen. Der oder die wird die gewonnene Macht missbrauchen.

Jesus verweigert sich den Versuchungen, die auch die Versuchungen unserer Zeit sind: der Versuchung, Gott die Rettung der Welt aus der Hand zu nehmen und selbst Gott zu spielen. Der Versuchung, sich selbst optimieren zu wollen. Der Versuchung, auf dem Weg zur Macht, ein Auge zuzudrücken.
Jesus, liebe Gemeinde, verweigert sich der Hybris, dem Erfolgsversprechen und dem Sog der Macht.
Seine Antworten schöpfen aus der Quelle der Zehn Gebote, aus dem lebendigen Brunnen der mosaischen Tradition Israels.
Ihr können auch wir uns im Gefolge Jesu anvertrauen.

Doch ich möchte noch einen Blick auf den Charakter dieses Textes werfen.
Was sich da abspielt, ist ja nichts, was jetzt auch uns passieren könnte, wenn wir in die Wüste gehen. Das Geschehen zwischen Jesus und Teufel findet auf einer anderen Ebene statt. Es ist ein heiliges Drama. Und wenn wir das Evangelium ernst nehmen, können wir jetzt nicht sagen – das ist nur so ein Märchen. Das ist nur symbolisch gemeint.
Ich schlage vor, es als einen Blick in eine zweite Wirklichkeit zu verstehen, dass dieser Kampf aber wirklich stattgefunden hat.
Für die Dauer des Lebens und Wirkens Jesu ist der himmlische Kampf der Geister von der zweiten Wirklichkeit in die erste, in unsere Wirklichkeit auf der Erde, verlegt. Das, was Gott tut – dem Guten und der Liebe in Ewigkeit zum Sieg zu verhelfen, das durchlebte Jesus in seinem kurzen Leben. Sein Leben, Leiden und Sterben ist Heilsgeschichte zum Anschauen und Mitschreiben.
Jesus besteht in seinem Leben, Leiden und Sterben, was er hier vorwegnehmend besteht.

Liebe Gemeinde, wir erleben unsere Wirklichkeit als unendlich ernüchternd, niederschmetternd. Wir lassen es uns zwar gut gehen, weil wir das zufällig können – aber wir wissen von der Existenz von Menschen, die Opfer werden. Opfer von Gier, von Machtstreben und Gewalttätigkeit. Opfer von Missbrauch, von Ungerechtigkeit, von Leichtsinn, von allen Abgründen des Verhaltens, deren Menschen fähig sind. – Unsere Wirklichkeit.
Aber an dem mystischen Geschehen in der Wüste, wie am Leben und Sterben Jesu, erkennen wir: Da ist noch eine zweite Wirklichkeit.
Und auf dieser Ebene hat Jesus den Teufel besiegt.
Das ist die Botschaft heute. Bei Gott geht alles klar, die Kämpfe sind gewonnen, die Geister sind klar voneinander zu unterscheiden.
Unsere chaotische Wirklichkeit der Grautöne, der Kompromisse, der mehr schlechten als rechten Lösungen, der Halbherzigkeiten und des Wollens aber nicht Könnens – die ganze chaotische Wirklichkeit ist geborgen in Gottes umfassender Wirklichkeit. Im Reich Gottes ist alles gut. Der Sieg ist längst da.

Aber können wir diesen Sieg auch in unsere Wirklichkeit holen? Wie sind die beiden miteinander verbunden? Himmel und Erde? Kommen wir aus unseren Verstrickungen erst jenseits dieses Lebens heraus? Kann erst dort alles gut werden und können wir dem Teufel erst dort ebenso widerstehen wie Jesus?
Religionen verdoppeln die Welt. Sie behaupten, es gibt mehr als man sieht. Sie zeigen eine zweite Wirklichkeit. Wenn man mit dieser zweiten Wirklichkeit in Berührung kommt, verspricht es einen Mehrwert für das Leben.
Und der Mehrwert des christlich-jüdischen Glaubens ist kein Opium. Nichts, was einen aus der einen Wirklichkeit in die andere entrückt. Der Mehrwert des christlich-jüdischen Glaubens besteht darin, dass durch den Blick in die zweite Wirklichkeit, den uns die Texte gewähren, wir entdecken, was hier und jetzt möglich ist, weil es schon in uns steckt.

„Glauben ist die Leidenschaft für das Mögliche“. So hat Kierkegaard den christlichen Glauben beschrieben. „Leidenschaft für das Mögliche“.
Und so erkennen wir am Evangelium von der Versuchung Jesu in der Wüste, dass bei Gott alles gut ist und das Böse keine Chance hat.
Und das beschreibt, was bei uns, in unserer Wirklichkeit möglich ist.
– Aus Steinen muss kein Brot werden, wenn das vorhandene Brot gerecht geteilt ist. Brot für die Welt. Und das Wort, das befreit und stärkt.
– Kein Mensch muss sich in Selbstoptimierung verausgaben. Wer schnell sein will, geht allein. Wer weit kommen will, geht in Gemeinschaft.
– Die Reiche und Mächte der Welt werden auch ohne unser Zutun in sich zusammenfallen. Konzentrieren wir uns lieber auf den möglichen Frieden. Denn Frieden ist immer möglich.
Jede und jeder kann dazu beitragen.

Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.