Liebe Gemeinde,
zum Eingang haben wir Psalm 24 gesprochen. Er ist heute mein Predigttext.
In einem Land, das Spielball mächtiger Königreiche ist, im Zusammenhang der jüdischen Religion, beschreibt der Psalm auch Gott als König. Der Schöpfergott ist mächtiger als alle Könige. Alle Türen und Tore sollen sich auftun vor seiner Macht. Die Palasttüren, die Stadttore.
Er bestimmt, wer vor ihm bestehen kann. Der Mensch, der sich tadellos verhält und mit unschuldigen Händen und reinem Herzen Gott sucht, dem lässt er Segen und Gerechtigkeit zuteil werden.
Diesem sehr alten jüdischen religiösen Lied habe ich ein Lied zur Seite gestellt, das wir wie so ein Kinderlied aus frühen Zeiten an jedem ersten Advent gern anstimmen. Das Lied mit der Gesangbuch-Nummer 1, Macht hoch die Tür, ist der Auftakt des neu-en Kirchenjahres. Sein Inhalt ist eine christliche Auslegung von Psalm 24. Ich habe bisher nicht viel über den Text von Macht hoch die Tür nachgedacht. Ich dachte immer an Jesu Einzug in Jerusalem. Den Jubel – obwohl der ja sonst vor Ostern in den Blick kommt. Ich fand es lohnend, mir jetzt die Geschichte des Liedes Nr. 1 mal anzusehen. Es bringt Bilder, die aus einer ganz anderen Tradition stammen, wie der ursprüngliche Psalmtext.
Macht hoch die Tür ist ein Lied der Barockzeit.
Natürlich wussten damals alle, was ein König ist, wie mächtig und prächtig die Herrscher auftreten. Es war die Zeit des Absolutismus.
Doch genau in dieser Zeit, in der Europa von Kriegen durchpflügt und zerfressen, ausgehungert und entvölkert war, genau da entstand eine Gegenbewegung, die von den großen Ereignissen der Politik nichts mehr erwartete, die aber alles erwartete von dem, was sich im Herzen eines Menschen abspielt.
Ich frage mich, ob wir nicht heute wieder bald an so einem Punkt ankommen. – Politik und Weltläufe scheinen die Welt in einen Scherbenhaufen zu verwandeln. Eine Krise jagt die nächste. Aber wie ein Mensch ist, woran er glaubt, was er hofft, worauf er vertraut – das bleibt so unendlich wichtig wie eh und je. Und ist es nicht letztlich für unser Leben entscheidend, wie es in uns drin aussieht?
Genau diese Frage stellten sich die Mütter und Väter des Pietismus. – Das ist die Geistesströmung, die den Text von Macht hoch die Tür hervorgebracht hat.
Hier zieht der König nicht in der Schöpfung ein, wie ein Heerführer und keine Tür und kein Tor können diesen Einzug hindern und sein Kommen aufhalten.
Nein, hier im Lied zieht der König als Heiland der Seelen im Herzen ein!
Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.
Wie wollen wir es heute halten, liebe Gemeinde? Was ist unsere Hoffnung? Ist sie klein oder groß? Und was ist überhaupt größer?
- Wenn Gott auf Erden die Macht ergreift?
Wenn die Klimaziele erreicht werden, um die gerade wieder gerungen wird? Wenn Menschen nicht mehr ihre Heimat verlassen müssen, weil man dort nicht mehr le-ben kann?
Wenn die Kriege aufhören und all die Gewalt, die Men-schen einander antun?
Wäre es groß, wenn auf einmal eine Art Weltregierung für Gerechtigkeit und Frieden sorgte? Wäre es groß, wenn den Kräften der Gier und dem Steigerungs-Spiel mit mächtiger Hand das Handwerk gelegt würde? Wäre es groß, wenn eine Weltregierung der Vernunft alle Menschen zu ihrem Glück zwingen würde? –
Wenn ich ehrlich bin, ist das keine meiner Hoffnungen. Und ich halte es für immer unwahrscheinlicher, dass eine humane Vernunft die Grundlage werden könnte für das Wirtschaften und die Politik. - Aber ist es nicht ohnehin viel, viel größer, wenn Christus in ein Herz einzieht? – Um es in den Worten des Pietismus zu sagen, was Glaube meint. – Ist es nicht viel größer, wenn ein Mensch beginnt, Gottes Liebe zu vertrauen?
Der Pietismus ist eine breite Strömung im evangelischen Glauben geworden. Ihm geht es immer darum, dass der und die Einzelne in ein Verhältnis mit Jesus eintritt.
Das wird mit dem Bild des Herzens ausgedrückt.
Mit dem Bild des Jesus, der vor der Tür steht und an-klopft.
Mit dem frommen Menschen, der ihn hereinlässt.
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu’r Herz zum Tempel zubereit’t;
Ich bin tatsächlich immer skeptisch, wenn mir jemand sagt, er habe Jesus angenommen. – Da hat der Pietismus manchmal komische Blüten hervorgebracht. Aber letztlich kommt es ja doch darauf an, ob jemand ein persönliches Verhältnis zum Glauben entwickelt.
Niemand darf da Vorschriften machen. Persönlich muss es sein. Und das gilt besonders für unsere Zeit. – Wenn der Glaube nicht in den eigenen Lebensentwurf hineinkommt, dann ist er verzichtbar. Dann braucht ihn keiner.
Und von daher würde ich für unsere Zeit heute sagen – ja, es gibt nichts Wichtigeres, als dass sich im Herzen, im Personkern etwas tut! Dass sich da die Annahme fest-macht, dass dem chaotischen Toben der Welt von Gott her ein Grundton der Liebe unterlegt ist.
Menschen können sich diesem Grundton der Liebe öffnen und daraus Heil erfahren – in allem Chaos. Oh wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat!
Jesus, der im Herzen ankommt. Das ist Advent!
Dass Gott in der Welt ankommt? – Wahrscheinlich geht auch das nur durch die Menschen, deren Herz er zuvor verändert hat.
Das Lied Macht hoch die Tür, das stammt aus einem besonderen Gesangbuch, einer Liedersammlung. Dieses Gesangbuch wurde in Halle benutzt – im Waisenhaus von August Hermann Francke, einer Gründerfigur des Pietismus.
Die Waisenkinder der Stadt Halle wurden dort aufgenommen. Und das Ziel ihrer christlichen Erziehung war es, dass sie alle ihr persönliches Verhältnis zu Jesus entwi-ckelten. Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Über die Jahrzehnte baute Francke mit den Waisenkindern ein neues Gesellschaftsmodell auf. Es gab um das Waisenhaus herum Werkstätten, Pflanzgärten, ein Krankenhaus. Wie eine neue Welt, das Reich Gottes – gebaut auf Herzen.
Liebe Gemeinde,
ich möchte gern beides vom Advent:
Ich möchte daran festhalten, dass es einen Herrn und König gibt, der mächtiger ist als die andern Herren.
So einen wie ihn Maria in ihrem rebellischen Lied beschreibt, einer der die Niedrigen erhöht und die Einge-bildeten vom Thron stößt. Einer, der die Hungrigen satt macht und die Reichen leer ausgehen lässt. So einen gerechten Gott wünsch ich mir.
Es ist klug, wenn die Festungen unserer Zeit, die Finanz-türme und Server-Zentralen, die Bürokratie-Komplexe und Regierungsviertel, die anmaßenden Populisten und die Autoren der Lügen-Narrative, wenn die ihre Tore weit öffnen, wenn sie diesen König, den himmlischen Herrn der Heerscharen kommen sehen.
Ich möchte mich im Advent an diesen Gott-König, der kommt, erinnern lassen.
Und ich möchte mich erinnern lassen an den sanften Jesus, der anklopft, der nicht ruht, bis er mitten im Herz gelandet ist und dort sein Heilungswerk beginnt.
Für den Retter der Welt und den Heiland der Seelen brennt diese erste Kerze am Kranz.
Von Peter Spangenberg stammt die folgende Übertra-gung des Psalm 24, mit der ich schließe:
Willkommen, lieber Gott
Die Erde gehört Gott; denn sie ist sein Werk.
Die Welt und alles, was in ihr lebt, gehört Gott.
Alles war seine Idee,
und alles stammt aus seiner Werkstatt.
Wer dürfte jemals in Gottes Herz sehen?
Wer dürfte es wagen,
sozusagen durchs Schlüsselloch zu gucken,
um hinter Gottes Geheimnisse zu kommen?!
Nur ein Mensch,
der keinen einzigen Fehler hat und macht,
einer, bei dem alles gut ist.
Also keiner; denn wir alle haben Fehler.
Aber wer das erkennt,
der bekommt von Gott unwahrscheinlich viel geschenkt;
seinen Segen,
und der ist wie ein großer, langer Kuss,
der mir zeigt, wie lieb Gott mich hat.
Öffnet eure Herzen,
sagt es laut weiter: Gott will kommen.
Willkommen, lieber Gott!
Wer Gott ist?
Er ist mein Lebenshüter,
er ist ganz treu,
ihm gehört alles, was es gibt.
Öffnet eure Herzen, sagt es laut weiter:
Gott will kommen!
Willkommen, lieber Gott!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft …