Ökumenische Wanderung, 8.9.2023, erste Station, Pfr. Dr. Stefan Bauer
Was ist Intelligenz?
Wie sehen wir den Menschen?
Ich lade ein zu einer kleinen Zeitreise in das hebräische Denken.
Im Alten Testament gibt es wohl auch eine instrumentelle Klugheit, eine Fähigkeit des Menschen, sich Wege auszudenken, vorzugehen.
Der Mensch wird als körperlich-geistige Einheit gedacht. Seele, Geist, Leib lässt sich alles nicht voneinander trennen wie später im griechischen Denken. Alle Organe kommen als Sitz des Denkens in Betracht – sie hängen alle miteinander zusammen, betonen nur einen Aspekt stärker, bleiben aber Teil des ganzen Menschen.
So ist die Gurgel der Mensch als Ganzes unter dem Aspekt des Verlangens, der Sehnsucht und der Gier. Der Atem, der den Mensch durchweht, ist der Aspekt seiner Vitalität. Er kann Stocken. Er muss beherrscht werden wie das Temperament gezügelt werden muss.
Das Herz ist noch am ehesten Sitz des Denkens und Wissens. Wir kennen die Formulierung aus dem Bibeldeutsch: ein verständiges Herz haben. Leute mit Herz sind kluge und weise Leute. Das Herz ist der Ort des Planens, des Dichtens und Trachtens. Es ist auch die Stelle, die den Menschen blockieren kann – Verstockung, Einsichtslosigkeit, Unvernunft.
Dass das hebräische Denken die Intelligenz in der Körpereinheit verortet, vielleicht entspricht das ja auch moderner Neurologie. So viel ich weiß gibt es ja auch eine Intelligenz in den Muskeln, mindestens eine Erinnerungsfähigkeit. Und die verschiedenen Funktionen des Nervensystems sind ja auch nicht nur auf das Gehirn mit seinen unterschiedlichen Regionen verteilt – es gibt auch das System der Hormone, die mit dem Körper interagieren, dann aber auch Hirnbereiche stimulieren, was wiederum auf den Körper zurückwirkt. Ja, ich glaube, die Hebräer waren gar nicht so dumm.
Der Mensch ist in der Tora gedacht als fähig, zu erkennen. – Aber nicht einfach an sich. Denn am Anfang der Welt steht Gottes Schöpfung – nicht als eine Schöpfung aus dem Nichts. Nein, es heißt, die Weisheit, die schon bei Gott war, berührte das Wasser.
Gott macht durch Weisheit aus der formlosen chaotischen Ursuppe eine Ordnung, die Leben ermöglicht.
Und die Intelligenz, die Gott dem Menschen mitgibt, das ist unsere Fähigkeit, die Ordnung in der Schöpfung zu erkennen und uns darin zurechtzufinden.
Deshalb ist in der Bibel Klugheit und Weisheit immer an die Erkenntnis und Furcht Gottes gekoppelt – es ist seine Ordnung. Wir erkennen sie, wenn wir ihn als Schöpfer anerkennen.
Das, was also Klugheit an sich im Menschen sein könnte, das ist tatsächlich nur Klugheit, die zum Leben führt, wenn sie zugleich eine gläubige Klugheit ist, die Gott hinter der Ordnung der Schöpfung erkennt und anerkennt.
Fehlt diese Anerkennung Gottes beim Menschen, dann wird aus seiner Klugheit Hinterlist – eine instrumentelle Vernunft, die sich entfernt hat von Gott, seinen Geboten, seinen lebensermöglichenden Ordnungen.
Wir sehen ja, was die rein instrumentelle Vernunft und Intelligenz, die keine ethische Rückbindung kennt außer der Profitmaximierung, was dieses Denken seit der industriellen Revolution angerichtet hat in seinem Verschleiß von allem Konsumierbaren.
Wir spüren, dass wir in eine andere Balance kommen müssen, die gutes Leben nicht nur über Besitz, Sicherheit und Konsum definiert.
Wir müssen wegkommen vom Verschlingen, vom Besetzen und Besitzen, vielleicht sogar bvon den Begriffen des Eigentums, wie sie an unserer neuzeitlichen Vorstellung vom Individuum haften.
Wie gut, dass wir uns noch mit so alten Texten befassen. Wie gut, dass es noch die Orte gibt, wo die alten Texte gehört und gedeutet werden können.
Wir werden diese Art Wissen, Weisheit und Intelligenz brauchen, wenn es ums Überleben geht.