Das Handbuch des Zachäus

Predigt am Pfingstsonntag, 5.6.2022, Matthäuskirche Landau von Pfr. Dr. Stefan Bauer
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Im Gottesdienst wurde von der Bibelerzählerin Kathrin Konrad die Zachäusgeschichte, Lukas 19,1-10, frei erzählt.

Liebe Gemeinde,

wenn man alles hat, gibt es dann noch etwas?

Diese Woche kamen wir in einem Gespräch darauf, dass wohl auch in unserer Gesellschaft noch einige Krisen bevorstehen. Aber da kam das Argument, dass es doch soviel Reichtum gibt bei uns, dass alle kommenden Krisen so schnell nicht dazu führen müssten, dass Einzelne oder ganze Bevölkerungskreise in materielle Not geraten. Selbst bei den steigenden Preisen.

Es ist heute kompliziert, sich eine Existenz aufzubauen. Heute sind junge Leute damit sehr gefordert, den Weg in ein gutes Auskommen zu finden. Beruflich Fuß zu fassen, das ist schon eine Kunst und ein Glücksfall. Einen Partner finden, dem man vertrauen kann und der zu einem hält, das scheint schon viel seltener zu sein. Und dann eine so tragfähige Beziehung zu haben, dass man sich zutraut Kinder zu haben. – Die Zahlen sagen, dass sich für immer weniger Menschen diese Erwartun- gen erfüllen.

Eben haben wir von Zachäus gehört, der es im Leben zu etwas gebracht hatte: Oberzöllner war schon eine gute Position. Wenn sie auch wenig prestigeträchtig war, so konnte Zachäus sicher ein gutes, sorgenfreies Leben führen.

Wie kam so einer dazu, so leidenschaftlich nach Jesus zu fra-gen? – Ich sehe hier eine Pfingstgeschichte, weil ich überzeugt bin, dass es der heilige Geist war, der Zachäus zu so einem Sehnsuchtsmenschen gemacht hat. Zu einem, der fragt: Soll das jetzt alles gewesen sein?

Der heilige Geist ist so eine Energiequelle, die uns auf Bäume klettern und andere verrückte Dinge tun lässt, die man norma-lerweise nicht tut. Ohne ihn würde alles immer beim Alten bleiben. Aber der Geist treibt uns und trieb den Zachäus.

Und so gibt es immer solche geistgetriebenen Menschen, die nach mehr fragen, als nur nach materieller Sicherheit, nach mehr Solidarität, als im bürgerlichen Leben vorgesehen, nach mehr, als dem, was sie bereits von sich selbst kennen.

Es sind die Frager, die Sucherinnen, die Sehnsüchtigen und die Träumer, die nach dem Mehrwert des Lebens fragen. Es gibt sie zu allen Zeiten, denn so wirkt Gottes Geist im Menschen.

Zachäus hatte seinen Weg gemacht. Er hatte eine gute Position, leitend, Finanzwesen. Er hatte ein Haus in der Stadt, trotz der hohen Grundstückspreise. Er hatte es geschafft im Gegensatz zu vielen anderen, denen er täglich begegnete und die sich nicht annähernd seinen Lebensstil leisten konnten. Er war Einer, der so ziemlich alles erreicht hatte. –

Aber dennoch war er ein Suchender geblieben. Und das hat sein Leben schließlich verändert. Anders als er es jemals für möglich gehalten hätte.
Wie ging das zu? Wie kam er dazu? Was ist da passiert?
Wie konnte sich diese Wende vollziehen? Wie genau wirkt der Geist? – Wie kam es, dass Zachäus auf einmal ganz andere Schwerpunkte setzte in seinem Leben? Können wir am Ende dieser Geschichte des Zachäus sogar etwas für unser eigenes Leben abgewinnen?

Niemand weiß ja, was aus dem Oberzöllner geworden ist. Die Evangelien schweigen darüber. – Deshalb müssen wir mal selbst den Faden weiterspinnen. –
Was könnte aus ihm geworden sein? Ich stelle mir vor, dass Zachäus ein Buchautor geworden ist. Autor eines Lebenshilfe-Buches. Der Titel könnte z.B. lauten: Wie ich glücklich wurde! Wie ich ein anderer Mensch wurde! Wie ich zu mir selbst fand! Vielleicht aber auch: Wege der Heilung!

Das Handbuch des Zachäus hat drei Kapitel. Drei Schritte zum Glück, drei Stufen zum Ich, zur Mitte, zum Leben.

Stufe 1 aus dem Handbuch des Zachäus lautet:

Schaffe dir Gelegenheiten, halte dich frei für das Unerwartete! Sei leidenschaftlich!

Darin schreibt der kleingewachsene Oberzöllner: Wie klein du auch bist, oder wie klein du dich fühlst, oder wie klein dich an-dere machen wollen: Mach dich selber nicht noch kleiner! Sei gewitzt und nutze deine Chancen. Nimm dir gelegentlich eine Auszeit, in der du nichts machst, außer frei zu werden für deine Gedanken über das Leben. Und wenn du den richtigen Augenblick erkennst, dann sei im entscheidenden Moment nicht träge, sondern schlau und flink und kräftig.
Bei mir, Zachäus war es so. Ich habe mich einfach in die Stadt begeben, das tue ich manchmal. Dann treffe ich Leute und höre, was so los ist.
Bei dieser Gelegenheit habe ich aufgeschnappt, dass Jesus von Nazareth in meine Stadt kommt. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, wollte zu gern wissen, was an dem Mann dran ist. Diese Chance, etwas Außergewöhnliches zu erleben, wollte ich nicht sausen lassen.
Deshalb habe ich mich ganz genau erkundigt, welchen Weg Jesus durch die Stadt nehmen wird. Diesen Weg bin ich genau abgeschritten und habe gesucht: nach einem Baum mit tiefen Ästen, auf die ich mich leicht hinaufziehen konnte. Ich habe mir dann extra für den Tag freie Zeit verschafft und vorgear-beitet. Dann vor dem Baum angekommen, musste ich all me-ne Kraft und Geschicklichkeit aufwenden, um schließlich hochzukommen und einen Ast zu erreichen, der optimal lag.
So war es bei mir. So hat alles angefangen. Deshalb lautet mein erster Rat an dich: Schaffe dir Gelegenheiten, halte dich frei für das Unerwartete! Sei leidenschaftlich!

Hast du Stufe 1 genommen, dann erst kann Stufe 2 geschehen:

Lass das Glück an dich heran, lass es in dein Leben hinein!

Es kann sein, dass du bereit bist, dass du dir Zeit nimmst und auf deine Sehnsucht hörst, und doch kommt das Glück nicht zu dir. Das liegt letztlich nicht in deiner Hand und ich kann dir nicht garantieren, dass du ihm begegnest. Aber bei mir hat es geklappt.
Und als dann das Glück an meine Tür klopfte, da habe ich schließlich keinen Moment gezögert, habe die Tür weit aufgemacht und alles, was ich und mein Haus bieten konnten war gerade gut genug für diesen Moment.

Jesus hat nicht nur auf den Weg geschaut, er hat nicht nur in die Augen derer geschaut, die ihm zujubelten. Er hat sich nicht für die vielen Schaulustigen am Weg interessiert. Nein, er hat mich kleinen Kerl oben auf meinem Baum entdeckt.
Er muss wohl gemerkt haben: Der klettert nicht jeden Tag auf Bäume. Der hat eine Leidenschaft, der hat eine Sehnsucht. Der ist noch nicht fertig, da geht noch was.

Vielleicht hat er mich deshal direkt angesprochen und sich bei mir für den Abend eingeladen. –

Das musst du erstmal verdauen, dass so etwas passiert. Das musst du erstmal überhaupt für möglich halten. Ich höre die Worte noch heute, den Klang seiner Stimme. Das Unerwartete war

eingetreten. Ein Traum wurde wahr. Das Glück hämmerte mit aller Macht an meine Tür. und deshalb lautet mein zweiter Rat an dich: Lass das Glück an dich heran, lass es in dein Leben hinein!

Und hier sind wir schon im 3. und letzten und vielleicht wichtigsten Kapitel vom Handbuch des Zachäus angekommen. Die dritte Stufe ist: Lass die anderen reden und motzen und lass dich von ihnen, von Neid, Hass und Bosheit nicht wieder runterziehen!
Wie haben sie sich ereifert, die halbe Stadt kam vor meinem Haus zusammengelaufen und hat Jesus beschimpft, wie er es wagen kann, sich gerade mit mir einzulassen, sich gerade von mir einladen zu lassen. – Ja, sie waren eben nicht bereit gewesen, sie hatten keine Leidenschaft gezeigt. – Sie haben sich nicht ansprechen lassen von ihm und dann die Tür des Herzens geöffnet.

Ich hätte es ja verdient gehabt, dass ich mein Leben lang von allen gehasst werde. Aber Jesus hat mich als Mensch angese-hen. Er hat sich einfach über die Meinung der anderen weg-gesetzt. Er hatte keine Berührungsscheu vor mir. Er hat mich nicht nach meinen Taten verurteilt, er hat mir vergeben! Er hat mir seine Menschenliebe zugewendet und vor aller Augen und Ohren mich, den mickrigen schäbigen Zollbeamten und Kollaborateur der Römer zum Gastgeber ausgewählt. – Er hat mich wie einen Menschen behandelt, und das war etwas, was ich schon Jahre lang nicht mehr erlebt hatte. – Es hat mein Le-ben in diesem Augenblick völlig umgekrempelt. Jesus hat das Gute in mir wieder freigelegt, das schon fast verschüttet war. – Und mir hat sich die Welt geöffnet, weil ich mein altes Leben abstreifen konnte, mein Leben, das mir schon lange so über war, vor dem es mir manchmal richtig ekelte.

Aber um zu diesem Frieden mit mir selbst und den anderen zu finden, musste ich mich vom Urteil der anderen befreien. Ich hatte durch Jesus meinen Glauben gefunden und den wür-den sie mir nie mehr nehmen können.

Das waren meine Ratschläge an dich, liebe Leserin und an dich, lieber Leser, die ihr mein Handbuch lest:
1. Schaffe dir Gelegenheiten, halte dich frei für das Unerwartete! Sei leidenschaftlich!
2. Lass das Glück, wenn es plötzlich kommt, an dich heran, lass es in dein Leben hinein!

Und 3. Lass die anderen reden und motzen und lass dich von ihnen, von Neid, Hass und Bosheit nicht wieder runterziehen!

Und der Friede Gottes, der höher ist …