Christliche Identität

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Matthäuskirche Landau, 13.8.2023, Predigt von Pfr. Dr. Stefan Bauer

5 Mose 4,5-20
Sieh, ich habe euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. 6 So haltet sie nun und tut sie! Denn darin zeigt sich den Völkern eure Weisheit und euer Verstand. Wenn sie alle diese Gebote hören werden, dann müssen sie sagen: Was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk! 7 Denn wo ist so ein herrliches Volk, dem Götter so nahe sind wie uns der Herr, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? 8 Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege? 9 Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun 10 den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb, als der Herr zu mir sagte: Versammle mir das Volk, dass ich sie meine Worte hören lasse und sie mich fürchten lernen alle Tage ihres Lebens auf Erden und ihre Kinder lehren. 11 Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da war Finsternis, Wolken und Dunkel. 12 Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Den Klang der Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. 13 Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. 14 Und der Herr gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, dass ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen.
15 So hütet euch um eures Lebens willen – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der Herr mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb –, 16dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau, 17 einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel, 18 dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde. 19 Hebe auch nicht deine Augen auf zum Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest denen, die der Herr, dein Gott, zugewiesen hat allen Völkern unter dem ganzen Himmel. 20 Euch aber hat der Herr angenommen und aus dem Schmelzofen, nämlich aus Ägypten, geführt, dass ihr sein Erbvolk sein sollt, wie ihr es jetzt seid.

Liebe Gemeinde an diesem Sonntag,

ganz frisch bin ich aus dem Urlaub zurück. Noch ein wenig mitgenommen von der Zugreise gestern von der Bretagne über Paris und Mannheim wieder hierher. Der Übergang ist wichtig. Es gibt für uns Wohlstandsmenschen Zeiten, die man sich nehmen darf, um auszuspannen. Wir können die Welt bereisen. Wir nennen es Urlaub – die Ausnahme von dem, was sonst ist. Man löst sich vorübergehend aus dem Beziehungsnetz des Alltags, hat Zeit miteinander, tut schöne Dinge, sieht und hört und schmeckt Anderes als zuhause.

Tatsächlich komme ich mit einigen Eindrücken zurück, neuen Erlebnissen und Begegnungen. In der Hafenstadt Lorient, wo wir waren, fand das jährliche große Festival der keltischen Länder und Regionen Europas statt. Zehn Tage feierten die Menschen ausgelassen, sie tanzten und sangen miteinander. Alle feierten mit, natürlich, wie meistens, viele um die sechzig, wie wir selbst. Aber auch junge Leute und Jugendliche. Es war auch ein Familienfest mit Kindern, Enkeln, Eltern und Großeltern.
Vor allem aus der Bretagne selbst waren Trachten- und Tanzgruppen gekommen, die ihre Tänze vorführten – oft einfach so an der Straßenecke. Von überallher erklangen die Bombarden und Dudelsäcke – Instrumente mit sehr durchdringendem Ton. Es gab Wettbewerbe und Preisverleihungen für alle traditionellen Instrumente. Man konnte die bretonischen Tänze einüben, Handarbeitstechniken lernen oder sich in sogenannten keltischen Sportarten messen. Es war ein buntes fröhliches und auch freundliches Miteinander. Wir erlebten z.B., wie von Tag zu Tag mehr junge Männer in Schottenröcken auftauchten. Die gab es natürlich zusammen mit vielen anderen Dingen zu kaufen.
Was sind jetzt aber keltische Kulturen? Gibt es eine keltische Identität bzw. mehrere davon? Es ist unwahrschenlich, dass man so etwas erfinden kann, nur um große Feste für Touristen feiern und Schottenröcke verkaufen zu können.
Es gibt da offenbar in all den vertretenen Landstrichen Menschen, die besondere Sprachen sprechen. Mit der entsprechenden Literatur und Musik dazu. Trachten sind besonders sichtbare Zeichen von Zugehörigkeit. Und dann gibt es da wohl auch politische Gemeinsamkeiten, wenn man sich als Minderheiten fühlt, die in den meisten Fällen eine Geschichte der Unterdrückung hinter sich haben, wie das z.B. bei Irland bei vielen noch in Erinnerung ist.

Tatsächlich war es in den frühen 80er Jahren die Faszination für irische Musik, die mich zum Gitarrespielen brachte. Die irischen Gruppen, die in Deutschland Konzerte gaben, entführten in eine Welt, die so ganz anders war. Wir lasen damals Tolkiens Herr der Ringe und mit zwei Mitschülern aus dem Englisch-Leistungskurs bei Herrn Werner am OHG begannen wir die irische Folkmusik zu spielen und diese Lieder zu singen.
Es waren romantische Fluchtwelten, die Musik, die Welt Tolkiens, in die man sich hineinträumen konnte. Ich konnte damals gar nicht sagen, was uns zu diesen Fluchten trieb. Immerhin waren es ja keine Fluchten in Alkohol oder Drogen. Alles in allem harmlos.

Damals in den 80ern war das Eigene fremder Kulturen besonders in Deutschland faszinierend, weil es ja hier so etwas wie Identität mit einer urwüchsigen Tradition nicht mehr geben konnte. Der Nationalsozialismus hat deutsche Folklore kompromittiert und beschmutzt durch seinen Missbrauch des Traditionellen für den Krieg gegen alles sogenannte Undeutsche, für die Gewalt besonders gegen jüdische Menschen aber auch gegen Bevölkerungen fremder Länder, die man zu Untermenschen erklärte. Es war beabsichtigt und anerkannt, alles als minderwertig beurteilte Leben zu vernichten. Auch das, was einfach nur anders war, wie Homosexualität oder geistige Behinderung.
Es stand also lange Zeit fest, dass es so etwas wie deutsche Folklore nicht mehr vernünftig geben konnte. Wer hier noch Volkstänze tanzte und Trachten trug war entweder hinterm Mond zuhause – im tiefen konservativen Bayern oder in hessisch oder schwäbisch Sibirien, oder er gehörte zu den Vertriebenenverbänden und ihrer oft politisch missbrauchten Deutschtümelei.
Heute kommt da jetzt einiges aus dem Untergrund wieder zurück und treibt üble neue Blüten in Menschenverachtung und Fremdenhass der AfD. Deutsche Identität wird vor allem von den Identitären und anderen rechten Gruppen gepflegt.

Ich bin in Gedanken immer noch bei den Verkausfsständen des Festivals in Lorient. Tourismus ist überall ein enorm wichtiger Wirtschaftszweig geworden. Hier wird konsumiert, Geld ausgegeben. Da möchte die Pfalz auch profitieren und versucht ihrerseits eine Identität aufzubauen mit Dubbeglas und Saumagen. – Da merkt man schnell, dass das nur Masche ist. – Es steht in Wirklichkeit, wie ich finde, keine besondere Kultur dahinter.

Wo ist so ein herrliches Volk, dem Götter so nahe sind wie uns der Herr, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege? Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb …

Das, liebe Gemeinde, beschreibt die Identität Israels.
Die Identität, auserwählt und geliebt zu sein. Die Identität mit einer unvergleichlichen Nähe zu Gott zu leben und sein Gesetz zu besitzen. Was für eine Identität, dem zu folgen von Generation zu Generation.
Es gab nicht wenige gerade Deutsche, die nach dem Holocaust am liebsten die jüdische Identität angenommen hätten. Geht nicht alles heute? Wie weit geht die Wahl meiner Identität? Wenn ich doch die Freiheit habe, mein Geschlecht zu wählen. Wenn ich doch die Freiheit habe, meine Religion zu wählen, wie meine politische Orientierung. Was geht und was geht nicht? Wo gibt es rechtliche Grenzen für die freie Wahl von Identitäten – Staatsbürgerschaft? Taufe? Kultur, in der ich aufgewachsen bin – was kann ich abstreifen, was kann ich anlegen?
Die jüdische Identität Israels ist festgelegt. Niemand kann sie einfach annehmen. – Sie nimmt Bezug auf eine konkrete Geschichte zwischen Gott und einer Menschengruppe.

Euch aber hat der Herr angenommen und aus dem Schmelzofen, nämlich aus Ägypten, geführt, dass ihr sein Erbvolk sein sollt, wie ihr es jetzt seid.

Was sind wir, liebe Gemeinde? Was ist denn unsere Identität? – Auch das habe ich während meines Urlaubs erleben dürfen. Da wir ohne Auto reisten und auf einer langgezogenen Halbinsel wohnten, dauerte es 1,5 Stunden Anfahrt mit Fähre und Bus und nochmal 20 Minuten zu Fuß, die kleine evangelische Kirche in Lorient zu erreichen. Einige Gemeindeglieder fahren jeden Sonntag eine halbe Stunde mit dem Auto an. Es gibt nur diese eine evangelische Kirche im Umkreis von 150 Kilometern.
In der Kirche trafen wir unter anderen Paulette, die in Madagaskar geboren wurde und Tiare aus Tahiti. Einige Gemeindeglieder sind Franzosen aus Algerien. Ein gemischtes deutsch-französisches Paar im Urlaub war da. Eine Gruppe von Studierenden aus Neu-Kaledonien, einer zu Frankreich gehörenden Inselgruppe im Südpazifik war da. Wir waren etwa vierzig in der Kirche.

Was ist unsere Identität? Es kann nicht die jüdische sein, obwohl wir durch Jesus auch Wurzeln im Judentum haben. Am besten wird man wohl sagen, dass sich das Christliche aus einer Seitenrichtung des Jüdischen entwickelt hat. Die gemeinsame Identität in diesem Gottesdienst in der Bretagne war zum Einen Jesus. Seine Art, in seinem Leben den Glauben an Gott auszudrücken. Wie er die Menschen ermutigte und ihnen von Gottes Anspruch und Liebe erzählte, das verkörpert sich im Abendmahl, das wir feierten und heute auch hier feiern werden. Das Abendmahl ist das Erleben der Gemeinschaft mit Jesus. Das spürbare Erlebnis, in ihm verbunden zu sein und zusammenzugehören. In Lorient mit diesen unterschiedlichen Menschen war das besonders eindrücklich. Dazugehören, den Glauben teilen, verstehen, was geschieht, wenn wir miteinander teilen, was Christus aus uns macht.

Die gemeinsame Identität in einem evangelischen Gottesdienst ist von daher natürlich auch das Wort im Mittelpunkt. Ohne das Wort, das das Abendmahl begleitet, bliebe es nichtssagend. Wir pflegen nicht nur Erinnerungen, wenn wir aus der Bibel lesen. Wir erwarten uns davon auch Stärkung für unser Leben heute und morgen.
Und so ist christliche Identität nichts, was man sich so zusammenstellen kann. Sie hängt an keiner speziellen Sprache. Sie vereint Menschen von überall her. Sie besteht nicht in Äußerlichkeiten – denn die Liturgie in Lorient und bei uns hat viele Unterschiede. Und daran liegt nichts.
Unsere christliche Identität ist der Moment, in dem man um den Altar steht und Stärkung erlebt. Der Moment, in dem ich mich verbunden weiß in dem Leben des einen Christus. In dem Leben, das mein Leben verändert.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.