Vom Mut, die Arche wieder zu verlassen

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Predigt in der Prot. Matthäuskirche Landau am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 2.11.2025, Pfr. Dr. Stefan Bauer

1 Mose 8,18-22

18 Noah ging heraus aus der Arche mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, 19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. 20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. 21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. 22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. 

Liebe Gemeinde,
die Bibel erzählt von der Sintflut als von einer globalen Katastrophe. Gott, so geht die Erzählung, hat damals einen Schnitt gemacht. Die Bosheit der Menschen hatte ihn dazu gebracht. Er hat nur einen kleinen Rest von allen Lebewesen gerettet – gerade so viele, dass ein Neuanfang gemacht werden konnte. Und alle anderen sind jämmerlich ertrunken, Mann und Maus, alle Kreatur, alles, was lebte.
Ist ihnen auch schon mal die Frage gekommen, warum Gott nicht wirklich ganz von vorne angefangen hat? – Warum hat er denn nicht einfach noch mal mit Adam und Eva begonnen? Und diesmal so, dass sie sich nicht falsch entscheiden. Diesmal so, dass sie Gott vertrauen und seinem Wort gehorchen. So, dass sie den Frieden schaffen, den sich Gott doch wünscht: den Schalom – für Kind und Greis, für Frau und Mann, für den Einheimischen und für den Fremdling.
Ja, hätte er doch damals ganz neu begonnen, Gott …

Was kann es für einen Grund geben, diesen Noah und seine Familie zu bewahren? War es Liebe? Hat Gott diesen fleißigen, treuen Noah geliebt, der gegen den Spott seiner Zeitgenossen das große Werk vollendet und die Arche gebaut hat?
An noch einer Stelle dieses Textes bin ich hängen geblieben: das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
Gott kennt seine Pappenheimer – er weiß, dass auch Noah seine Schwächen hat. Nur wenig später führten diese Schwächen zu Problemen: Noah, der erste Winzer, hatte zu viel Wein genossen. Er hat seine Grenzen nicht gekannt und nicht respektiert. Sein Vollrausch brachte Probleme unter seinen Söhnen mit sich. Das Leben wurde schon wieder kompliziert.
Auch Noah war also nicht perfekt. Er hatte Stärken, aber auch Schwächen. Und dennoch liebte Gott ihn so, dass er ihn mit den Seinen bewahrte. Und nicht nur das, Gott änderte auch seine Einstellung zu seiner Schöpfung. Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; Weil es Gott um den Menschen geht, weil er den Menschen liebt, lässt er von seinem universellen Strafen ab. – Das ewige Zeichen dafür ist der herrliche Regenbogen, der uns alle immer mal zum Staunen bringt, wenn wir einen sehen. Saat und Ernte hören seitdem nicht mehr auf. Gott gibt also alles, was wir Menschen zum Leben brauchen!

Niemand kann Gott vorschreiben, seine Haltung nicht noch einmal zu ändern und doch ganz neu anzufangen. Alles auf anfang. Resettaste. Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Für uns stellt es sich immer so dar, dass wir Gott nicht kennen können. – Oder doch? Hat er uns nicht geholfen, zu vertrauen, statt zu befürchten und zu zweifeln?
Ich frage mich: Was wird Gott tun? Wenn er sieht, dass seine Schöpfung vom Menschen bedroht wird, wie der Mensch selbst den Kreislauf von Saat und Ernte wegen seiner Gier zerstört, was wird Gott dann tun? – Wir wissen es nicht. Aber ich finde die Frage wichtig. Gott könnte etwas tun. Jederzeit. Die Frage ist also weniger, was wir Gott zutrauen bzw. inwiefern wir ihm vertrauen, sondern die Frage ist, ob er uns zutraut, das Blatt noch zu wenden. Oder ist es so, dass er längst eine neue Arche in Auftrag gegeben hat?

Die alten Kirchenlehrer deuteten die Geschichte von der Arche so, dass die Kirche die neue Arche unserer Zeit ist. Alle, die das Evangelium hören, wären dann vor den heutigen Fluten gerettet. – Und zwar nicht nur die lieben Tiere, die Täubchen und die Eichhörnchen und die Häschen – nein, auch die Wölfe waren in der Arche, auch die Schlangen. Und so sind auch heute die Wölfe und die Schlangen und die Faultiere unserer Gemeinden mit dabei. Wir kennen ja auch unsere Pappenheimer. – Aber sie hätten nach dieser Vorstellung der Kirche als Arche ihren rettenden Platz im Trockenen.

Der Kirchenvater Augustinus ging mit seiner Deutung noch weiter: Er verglich das rettende Holz der Arche mit dem rettenden Holz des Kreuzes. – Ja, ich sehe, wie das Kreuz schon unzählige Menschen gerettet hat – vorzugsweise Menschen, die verfolgt wurden, die geschlagen, gequält wurden. Für die ist das Holz des Kreuzes der Trost gewesen, dass auch ihr Herr, Jesus Christus den harten Weg gegangen ist, bespien, verhasst, verfolgt und geschlagen war. Jesus hat diese Menschen selig gesprochen, ihnen gesagt: „Für euch vor allem, ist das Himmelreich weit offen. Ihr werdet die ersten dort sein und ganz nah bei Gott euren Platz haben.“ – Der alte Augustinus ist während kriegerischer auseinandersetzungen gewaltsam gestorben und mag in der Erfahrung von Gewalt dieses rettende Floß gefunden haben, das Holz von Christi Kreuz, an dem man sich festhalten kann, wenn die Flut steigt.

Im mittelalterlichen Katholizismus hat man wieder das Bild der rettenden Arche als Bild für die Kirche herangezogen. Der Dominikaner Johannes Tauler bezog es auf Maria: Das rettende Schiff bringt Jesus zur Welt. Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort. Maria ist im Katholizismus das Bild und das Vorbild für die Kirche. Schiff – Arche – Maria – Kirche. Wir Evangelischen können einstimmen, wenn es heißt: Das Segel ist die Liebe – der heilig Geist der Mast.
So kann ich mir die Kirche als Arche vorstellen: Sie birgt Jesus in ihrer Mitte, ihr Kostbarstes. Sie kann ihn aber andererseits nicht fassen. Ich meine, sie hat die Liebe zu Jesus zu hüten und immer wieder zu wecken. Alles Andere zum Erhalt der Kirche tut Jesus selbst.

Nicht wir retten die Kirche, sondern die Kirche, als Einrichtung, in der die Liebe zu Jesus gehütet wird, wird uns retten.
Und ich meine jetzt nicht die Rettung der Institution Kirche. Die darf sich ohnehin immer wandeln, weil sie die Menschen erreichen muss. Ich meine einerseits die Rettung unserer Seelen vorden entsetzlichen scheinbaren Alternativlosigkeiten unserer Zeit.

Es sieht ja so aus, als könnte die Welt nicht mehr gerettet werden, als zögen sich die Horizonte zusammen und würden die Zukunft abklemmen für unsere Kinder.
Wenn die Kapitalströme fluten, dann werden schon mal ganze Menschengruppen überspült, ganze Inseln überschwemmt, und Kulturen versinken. Wie kann da die Seele vor der Verzweiflung gerettet werden? Zumal wenn persönliche Schicksalsschläge dazukommen?

Hier ist die Kirche wie eine Arche. Denn sie hat das Potential, dass wer sich hier versammelt, Herz und Ohr öffnet für die Not der Mitmenschen. Die Kirche hat das Potential, dass ich nicht vergessen werde, nur weil ich nicht mehr zum Gottesdienst kommen kann. Die Kirche hat das Potential, Menschen zu inkludieren, die woanders aussortiert oder gemobbt werden. – Die Kirche hat dieses Potential, weil sie selbst Christi Leib ist. Auch, wenn sie es nicht weiß und es nicht lebt. Es ist ihr Potential.
Aber damit diese Potentiale auch real werden, reicht das Bild des rettenden Schiffs nicht mehr. Und hier komme ich zurück zu Noah: Er beginnt neu, ganz mutig. Er dankt Gott und Gott liebt ihn dafür. Noah verlässt die Arche und betritt den Boden und macht sich daran, ihn wieder urbar zu machen. – Und dann auch noch mit Weinstöcken!
Wohl wird er Angst gehabt haben während der 40 Tage und 40 Nächte, in denen der Regen fiel und die Flut den Kasten der Arche hob. – Aber ganz sicher wird er auch Angst gehabt haben, als es hieß, den rettenden Kasten wieder zu verlassen und die Ärmel hochzukrempeln.

Das Bild der Arche will uns beruhigen, dass unsere Rettung nicht aufgehalten werden kann. Aber es ist nur ein biblisches Bild. – Es gilt auch, dass wir wieder aussteigen müssen, dass wir in die Welt gesandt sind mit einem Auftrag: Uns der Suchenden und uns einander anzunehmen. – Wir müssen also an Land und die Arche verlassen.
Dass es schwierig sein kann, von Bord zu gehen, das erleben wir in der Bibel nicht nur bei Noah, sondern später auch bei Petrus. Einem, der nicht nur einmal seinen eigenen Mut überschätzte. Als die Jünger im Sturm auf dem See trieben in ihrem Fischerboot, da wussten sie: Sie gehen wieder an Land. Von dort her kam Jesus ihnen sogar entgegen – Petrus hielt nichts mehr an Bord. Als er anfing, im Wasser zu versinken, zeigte ihm Jesus, dass der Glaube ihn tragen kann, auch wenn er das Schiff verlässt.

Amen.