Predigt zu Joh 20, 19-20; 24-29
Osterpredigt 2024 von Vikar Maximilian Kölsch, Matthäuskirche Landau
„19Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
24Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben. 26Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“
Liebe Gemeinde,
Jesus ist auferstanden von den Toten. Ostern ist wahrhaftig angebrochen. Endlich ist es Zeit Ostern zu feiern. Wir Christinnen und Christen heute hören die Osterbotschaft jedes Jahr aufs Neue und füllen sie mit dem, was uns in unserem Leben beschäftigt, was uns umtreibt. Hängen meine Gedanken eher in der Passionszeit oder Karfreitag fest, weil in meinem Leben gerade gar nichts wirklich läuft? Oder freue ich mich auf das Erwachen der Natur und den Frühling und freue mich, dass es in meinem Leben auch wieder heller wird. Mit Ostern beginnt das Leben von Neuem. Sowohl in der Natur als auch im Glauben. Blumen blühen und Leben erwacht. Menschen fühlen sich im Glauben neu berührt und erfüllt. Auch für die Menschen um Jesus beginnt mit der Kreuzigung und der Auferstehung ein neues Leben. Wo aber zunächst Euphorie und Freude über Jesus Worte und Taten vorherrschten, folgten bald Trauer, Wut und Angst über das, was mit Jesus passiert war. Der Schreck sitzt tief. Am Ostersonntag haben wir die Geschichte aus dem Markusevangelium von den drei Frauen gehört, die an Jesu Grab gingen. Sie fanden ein leeres Grab. Der Botschaft des Jünglings im Grab können sie nicht glauben. Zu tief sitzt der Schmerz, zu tief die Trauer. Jesus ist gerade erst gestorben. Und nun ist er weg. Die drei Frauen fliehen vom Grab und haben Angst. Sie zweifeln an den Worten des Jünglings. Sie wissen nicht, was sie glauben sollen.
Glaube ist eine wundersame Sache. Fragt man drei ChristInnen, was ihr Glaube ausmacht, bekommt man fünf verschiedene Antworten. Jeder und jede Einzelne von uns hat seinen und ihren eigenen Glauben. Manche tragen ihren Glauben offen vor sich her und teilen ihn mit jedem der möchte, andere wiederum glauben eher im Stillen und machen es zu einer ganz persönlichen Sachen. Egal wo man sich verortet, jede Form des Glaubens hat ihre Berechtigung, sofern sie niemanden einschränkt, bedroht oder verletzt. Schau ich aber auf die Frauen am Grab stelle ich mir die Frage, wie es mit dem „Nicht-Glauben-können“ aussieht. Bedeutet Glauben, dass zweifeln nicht erlaubt ist? Schaut man in die Bibel erzählen uns viele Geschichten vom Zweifeln: Sei es in den Psalmen, bei Hiob, Petrus, der an Jesu Worten zweifelt oder ganz prominent beispielsweise im eben gehörten Text. Thomas zweifelt an der Auferstehung Jesu. Dabei ist Thomas doch einer, der Jesus zu Lebzeiten gekannt und sein Wirken erlebt hatte. Doch als einziger aus dem Jüngerkreis bekommt er die Erscheinung von Jesus nicht mit. Eigentlich ziemlich unfair. Schließlich hätte Jesus auch warten können, bis Thomas ebenfalls dabei gewesen wäre. Johannes schreibt, dass die Jünger sich zusammensetzen. Warum war Thomas nicht dabei? Wir wissen es nicht! Die Jünger jedenfalls saßen zusammen und hatten Angst, dass sie nach Jesus nun auch in das Visier der Verfolger kommen könnten.
In diesem Moment erscheint Jesus in dem verschlossenen Raum. Er erscheint unverhofft vor den Jüngern. Mit den Worten „Friede sei mit euch“ gibt er sich zu erkennen. Die Jünger freuen sich, ihre Angst schwindet und die Erkenntnis, dass Jesus wirklich auferstanden ist und nun wieder bei ihnen ist, macht sich breit. Einzig Thomas, der nicht dabei war, kann es immer noch nicht glauben. Wie auch? Ausgerechnet, wenn er nicht da ist, erscheint Jesus. Wenn es denn stimmt, dann hat er gerade ein Wunder verpasst. Zwar war er mit Jesus unterwegs und wird einige Wunder gesehen haben. Aber das hier? Das ist doch alles schwer zu glauben, wird er gedacht haben. Erst wenn er die Male an Jesu Hände sieht und ihn wirklich anfassen kann, dann glaubt er es seinen Freunden.
Thomas ist mir bisher immer mit dem Beinamen „Der Ungläubige“ begegnet. Vor allem in der Reformationszeit wurde seine „Ungläubigkeit“ stark kritisiert. Darf man als guter Glaubender überhaupt an dem Wunder der Auferstehung zweifeln? Dahinter steht der naive Gedanke, dass nur blinder Glaube wahrhafter Glaube sein kann. Handelt Thomas hier also falsch? Das Ende unseres Textes legt mir den Gedanken zumindest nahe: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ In der Auslegungstradition von „Thomas dem Ungläubigen“, wird dieser Vers als Tadel von Jesus verstanden. Warum muss Thomas überhaupt Jesus berühren wollen. Glaubt er nur dann? Das ist doch falscher Glaube. So könnte man diese Gedanken zusammenfassen.
Es gibt auch noch eine andere Sicht auf den Text. Thomas ist nicht ungläubiger als die Jünger vor ihm. Nach dem Johannesevangelium bekommen die Jünger die Nachricht von der Auferstehung von Maria Magdalena erzählt. Obwohl sie die Botschaft bekommen haben, verstecken sie sich, ähnlich den Frauen am Grab. Jesus muss erst zu ihnen kommen, ihnen seine Wundmale und seinen Körper zeigen, damit sie das alles glauben und froh sein können. Im Johannesevangelium erscheint Jesus also Maria Magdalena, den Jüngern ohne Thomas und dann auch Thomas. Somit sind alle anderen zunächst genauso „ungläubig“ wie Thomas selbst. Thomas sticht nur insoweit heraus, dass er Jesus auch berühren möchte. In seinem Wunsch geht er daher einen Schritt weiter als die anderen Jünger. Spricht Thomas nicht einfach nur das aus, was die Anderen gedacht haben? Denn wenn ich etwas mit den Händen erfühlen kann, dann muss es doch wahr sein. Thomas unterscheidet sich in diesem Punkt nicht wirklich von den anderen Jüngern. Er spricht nur seine Gedanken laut aus.
Wie geht es dann weiter auf dem Glaubensweg der Jünger? Acht Tage später kommen sie wieder zusammen, diesmal mit Thomas. Und Jesus tritt, wie schon beim ersten Mal, mitten unter sie und sagt die Worte „Friede sei mit euch!“ Und dann kommt der entscheidende Moment. Jesus bietet Thomas an ihn zu berühren und wirklich zu fühlen. Dabei fällt auf: Jesus lädt Thomas zwar ein, ihn zu berühren, aber dass Thomas das Angebot annimmt, davon ist keine Rede. Der Text lässt es offen. Künstlerinnen und Künstler haben die Szene mit der Berührung immer wieder gerne gemalt. Als hätte Thomas nur so zum Glauben finden können. Was wir aber im Evangelium erfahren ist nur, dass Thomas zum Glauben findet und seinen Glauben bekennt. Er sagt zu Jesus: „Mein Herr, mein Gott!“ Damit erkennt er an, was mit Jesus an Ostern passiert ist. Er braucht Jesus nicht mehr berühren. Er glaubt ihm. Und mit der Anrede „Mein Herr, mein Gott!“ spricht Thomas beide Seiten von Jesus an. Die von Jesus, seinem Freund, mit dem er durch das Land zog und die von Christus, die mit Ostern den Tod überwunden hat, dem Auferstandenen. Der „ungläubige Thomas“ ist gar nicht so anders als die anderen Jünger um ihn herum. Und das ist das Schöne für mich. Jesus nimmt Thomas in seinen Fragen und seinen Wünschen an und geht auf ihn zu. Und Thomas ist ganz ergriffen und glaubt.
Jetzt bleibt aber immer noch die Frage offen: Ist der Satz von Jesus am Ende nun ein Tadel an Thomas? Wird zweifeln also generell als schädlich für den Glauben gesehen? Wenn Thomas Jesus nicht berührt hat und trotzdem zum Glauben kam, dann spricht doch alles dafür, dass Jesus hier niemanden tadelt. Thomas ist wie wir. Ich würde mich auch besser fühlen, wenn ich etwas zum Anfassen hätte, etwas, das mir Gewissheit gibt. Aber wir sind eben keine ZeitgenossInnen von Jesus. Wir haben ihn nicht erleben können. Wir haben aber die Schriften, die von ihm, seinem Leben und seinen Wundern berichten. Es ist genau das Anliegen des Evangeliums: es berichtet uns von Jesus, damit Menschen, auch wenn sie zweifeln, glauben können. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, dieser Satz ist unsere Chance. Unsere Chance an Jesus als Gottes Sohn zu glauben. Mit diesem Zuspruch Jesus freut sich über jeden und jede Einzelnen von uns, über dich und mich, wenn wir über das Evangelium zum Glauben und zur Nachfolge finden.Ostern ist schwer zu begreifen. Es geht über alles hinaus, was ein Mensch verstehen kann. Selbst die Menschen, die Jesus selbst erlebt haben, tun sich damit schwer. Dennoch gibt es immer noch Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die an Jesus glauben und mit ihrem Glauben selig werden. Glückselig werden.
Und noch etwas zeigt mir die Geschichte: Zweifeln ist ein integraler Bestandteil des Glaubens. Es ist nichts wofür man sich zu schämen braucht. Die Bibel ist voller Erzählungen zweifelnder Menschen. Wer zweifelt, der setzt sich mit sich und seinem Glauben auseinander. Jesus nimmt die Zweifel an. Er geht auf Thomas zu und verurteilt ihn nicht. Er nimmt ihn an in seinem Zweifeln und freut sich über sein Erkennen und seinen Glauben. An Ostern geschieht das Unfassbare. Jesus hat den Tod überwunden und ist bei uns. Auch wenn wir ihn nicht sehen oder berühren können, so gibt er uns trotzdem die Chance auf ein glückliches Leben. Glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben. Amen