Predigt über Joh 18,24-19,5 Der Prozess Jesu
Liebe Gemeinde,
der heutige Sonntag heißt Judika. Er hat seinen Namen von Psalm 43, mit dem wir den Gottesdienst heute eröffnet haben. Dieser Psalm beginnt in der lateinischen Übersetzung mit den Worten: Iudika me, deus!
Richte mich, Gott! Schaffe mir Recht, Gott!
Der Psalm wurde schon in alter Zeit im Jahreslauf dem heutigen 5. Sonntag der Passionszeit zugeordnet. Der Grund dafür ist, dass man zwei Wochen vor Ostern auch des Prozesses Jesu gedenkt – also wie über Jesus Gericht gesprochen, wie er zu Folter und Tod verurteilt wurde. – Eine Etappe in der Begleitung des Weges Jesu ans Kreuz, wie wir in der Passionszeit eingela-den sind, ihn in Gedanken und Gebeten nachzuvollziehen.
Die katholische Tradition kennt die Kreuzwege. Man findet Kreuzwegstationen in jeder katholischen Kirche – und auch in der Landschaft. Der Kreuzweg ist auch so eine Form, den Weg Jesu betend nachzuvollziehen. Er beginnt mit der Station von Jesu Prozess und Verurteilung.
Iudika me, deus! Schaffe mir Recht, Gott!
Um Jesu Verurteilung zu verstehen müssen wir eine Reise machen. Der Bambus hilft uns vielleicht dabei, uns in die Welt des Vorderen Orients und 2 bis 3 Tausend Jahre in die Vergangenheit zu versetzen.
Menschen haben ein Gefühl davon, was Recht und was Unrecht ist. – Menschen erleben schon immer, dass es untereinander ungerecht zugeht. – Menschen sehnen sich nach einem Gott, der Gerechtigkeit übt.
Aber wenn doch die gefühlte Ungerechtigkeit auf der Welt nicht aufhört, dann sucht man Erklärungen. Das hat man in Israel getan. Da gab es früh Vorstellungen von Patriarchen, die unterm Tor sitzen und Recht sprechen. König Salomo wurde sprichwörtlich als Urbild eines gerechten Richters. Bis heute nennt man weise Urteile, die die Umstände bestmöglich einbeziehen, „salomonische“ Urteile.
Es ging hier um Gottesrecht. Etwa so, wie Mose oder Abraham als Anwälte vor Gott traten, um sein Urteil milde zu stimmen. Gott war im Weltbild ursprünglich nomadischer Gruppen in kargem Land der oberste Richter. Und als sich die Gesellschaft ausdifferenzierte, da ging dieses Gottesrecht auf den Herrscher über.
Da sieht man, wie weit wir von der Zeit Jesu und erst recht des Alten Testaments entfernt sind. Wir heute sind es gewohnt, dass es ein staatliches Rechtswesen gibt, das von Religion und Gott unabhängig den bei uns demokratisch geschaffenen Gesetzen zur Durchsetzung verhilft. Wir bewegen uns also jenseits der Zeitenwende der Aufklärung, in der Kirche und Staat voneinander getrennt wurden in oft schmerzhaften gesellschaftli-chen Prozessen.
So ganz ist das ja immer noch nicht vollzogen, wenn man sieht, dass Kirchen immer noch ein eigenes Arbeitsrecht haben dürfen und sogar eigene Kirchengerichte. Unser Ehrenpresbyter T.F., im Profanberuf Richter gewesen, hat sich auch am Kirchengericht betätigt. Jetzt gibt es noch diese sogenannte „hinkende“ Trennung von Kirche und Staat. Aber mit dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirchen, werden in Zukunft vermutlich die letzten Verbindungsleinen gekappt werden.
Die Welt der Psalmen, sie war noch ganz in diesem Gottesrecht. Die Menschen rangen damit, dass Gott ihnen scheinbar kein Recht schuf. Es kam zu Erklärungsversuchen – ja, Gott straft vielleicht zeitverzögert bei Kind und Kindeskind. Die Menschen wollten partout daran festhalten, dass Gott ein gerechter Gott ist und dass das Tun von Menschen auch Konsequenzen in ihrem Ergehen auf Erden hat.
Aber es hörte ja nie auf, dass es bösen Leuten gut ging und guten Leuten schlecht. Der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen ließ sich also an der Wirklichkeit nicht bestätigen. So kam man irgendwann auf die Idee – ja, dann muss es ein Leben nach dem irdischen Leben geben. Und der gerechte Ausgleich erfolge dann dort.
Liebe Gemeinde,
man merkt, dass mit diesen dogmatischen Schachzügen der Willkür auf Erden Tür und Tor geöffnet werden. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres in Glaubensdingen, als Menschen einen Ausgleich im Jenseits zu versprechen – damit kann man natürlich Märtyrer produzieren und indoktrinieren und das ist vielleicht ganz praktisch für Menschen, die gerne Macht haben und über andere herrschen. Man kann Menschen auf diese Weise geistlich missbrauchen und gefügig machen. Und das können Kirchen übrigens bis heute…
Es hat, so meine ich, dem Glauben nichts gebracht, die Gerechtigkeit auf Erden von Gott zu erwarten, geschweige denn, sie in den Himmel, wahlweise ins Fegefeuer oder die Hölle zu verlagern. – Hiob jedenfalls hörte irgendwann auf, Gott Vorwürfe zu machen oder irgendetwas aufzurechnen mit Gott. Er hat sich irgendwann vertrauensvoll in Gottes Hand gegeben – dass Gott schon wissen wird, wie alles zusammenhängt, dass Gott möglicherweise seine Gründe hat, die wir eben nicht durchschauen.
Der Prozess Jesu wird uns zeigen, dass es viel wichtiger ist, auf das zu schauen, was Menschen hier mit anderen Menschen anstellen. Der Prozess Jesu zeigt, wie wichtig ist, die menschlichen Machenschaften, die menschlichen Interessen zu durchleuchten, statt Gott jetzt für den großen Lenker im Hintergrund zu halten. Wer Gott vorschnell für den Lenker hält, der macht ihn meiner Meinung nach für Vieles zu unrecht verantwortlich.
Aber hören wir jetzt, was da nach Johannes 18 damals mit Jesus geschehen ist bei seinem Prozess:
Anspiel:
(Pilatus setzt sich vor dem Altar auf einen Stuhl)
(Hohepriester kommt durch den Gang und hat Jesus am Kragen gepackt. Er bleibt am Ende des Gangs in Sichtweite von Pilatus stehen)
(Pilatus steht auf und geht zum Taufbecken und sagt von dort aus zum Hohepriester:)
Was für eine Klage bringt ihr vor gegen diesen Menschen?
(Hohepriester:)
Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet!
(Pilatus:) So nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz.
(Hohepriester:) Es ist uns nicht erlaubt, jemanden zu töten.
(Pilatus setzt sich wieder hin. Der Hohepriester bleibt stehen. Jesus stellt sich schräg vor Pilatus mit Abstand, vor die Altarstufen.)
(Pilatus:) Bist du der Juden König?
(Jesus:) Sagst du das von dir aus, oder haben dir’s andere über mich gesagt?
(Pilatus:) Bin ich ein Jude? – Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. – Was hast du getan?
(Jesus:) Mein Reich ist nicht von dieser Welt, sonst würden meine Jünger sich gegen meine Verhaftung wehren; aber so ist ja mein Reich nicht von hier.
(Pilatus:) Dann bist du ja aber doch eine Art König?
(Jesus:) Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich bei der Wahrheit bleibe. Und wer Gott kennt, der hört meine Stimme.
(Pilatus zu Jesus:) Tja, was ist Wahrheit?
(dann steht Pilatus wieder auf und geht zum Taufstein und sagt zum Hohepriester:)
Ich finde keine Schuld an ihm. Aber zum Passafest wird ja ein Veruteilter freigelassen. Wollt ihr, dass ich euch diesen „König der Juden“ freilasse?
(Hohepriester:) Dann lieber den Verbrecher Barrabas!
(Pfr. von der Kanzel:)
Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn foltern.
Soldaten machten ihm eine Dornenkrone, peitschten ihn und legten ihm einen Purpurmantel um. Sie verhöhnten ihn: Sei gegrüßt, du König! Und sie schlugen ihn ins Gesicht.
(Pilatus geht beim Sprechen zu Jesus und zieht ihn am Kragen mit sich:) Da schaut hin. Sogar unter der Folter ist er bei seiner Wahrheit geblieben. Seht, was für ein Mensch er ist!
Vielen Dank dem Hohepriester, Pilatus und Jesus!
Ja, da hören wir von zwei Gerichts-Instanzen: Da ist der Tempel mit der Priesterschaft. Das alte System des Gottesrechts, ausgeübt von religiösen Führern.
Jesus hatte gewagt, in aller Öffentlichkeit Kritik am Tempelbetrieb zu üben. Die Tempelpriester ließen ihn von ihrer eigenen Polizeitruppe verhaften. Johannes berichtet davon, wie sie Jesu Lehre und Aktionen als Provokation und Angriff auf ihre Autorität erlebten. Sie kommen zu dem Urteil, dass er den Römern ausgeliefert werden soll.
Denn die Römer beherrschten das Land und letztlich war ihre Gerichtsbarkeit maßgebend.
Und letztlich erfahren wir dann von einem politischen Prozess. Pilatus will die einflussreichen Priester nicht verärgern. Pilatus ist ständig damit beschäftigt, Aufrührer abzuurteilen. Zu viele Aufstände im jüdischen Land. Er ist da, allen Widerstand gegen die römische Herrschaft zu brechen. Und so prüft er, ob Jesus ein politischer oder religiös-fanatischer Aufrührer ist.
Er kann in ihm keine Gefahr erkennen. Und greift zu einem Trick. Zum Passafest kann ein Verbrecher begnadigt werden. Jetzt sollen die Tempelmänner wieder entscheiden. Denn sie werden das Volk schon entsprechend beeinflus-sen. – Wir wissen, wie es endet.
Nur ein Aspekt lässt mich aufhorchen: Die Wahrheit.
Jesus bleibt bei der Wahrheit.
Für Pilatus ist das nur eine zynische Rückfrage wert: „Was ist schon Wahrheit?“
Und an dieser Stelle wird dieser Text brennend aktuell.
Wir haben gehört, wie Elon Musk wieder Millionenschecks verschenkt hat, um eine Richterwahl in Wisconsin zu manipulieren.
Wir haben gehört, wie Marine Le Pen von französischen Gerichten verurteilt wurde wegen fortgesetzter Veruntreu-ung von EU-Geldern.
Wir wissen, dass die Rechtsapparate die ersten Instanzen sind, die von totalitären Machthabern untergraben werden. Der Rest, die Masse zu manipulieren, ist dann einfach. Vielleicht muss unser Rechtssystem uns einmal vor einer kommenden Machtübernahme von rechts retten.
Die Feinde der Wahrheit behaupten, es gebe mehr als nur eine Wahrheit. Sie bedienen sich fake-news, der Algorithmen der sozialen Netzwerke und hybrider Kriegführung, um Demokratien zu unterhöhlen und Willkür, Entwürdigung und Chaos hervorzubringen.
Jesus aber sagt: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich bei der Wahrheit bleibe.“
Seht, welch ein Mensch!
Wer bei der Wahrheit bleibt, auch noch unter der Folter, den bringen die Autokraten, Oligarchen und Geld-Eliten um.
Es ist auch Jesus nicht erspart geblieben.