Vom christlichen Lebensstil und Gemeinden ohne Leithammel

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Predigt von Pfr. Dr. theol. Stefan Bauer über Römer 12,9-16
Matthäuskirche Landau, 19.01.2025

Liebe Gemeinde, der Schweizer Theologe Manuel Schmid (reflab) hat neulich 4 Tipps gegeben, wie dieses neue Jahr garantiert schrecklich wird.

Tipp 1: Versuche krampfhaft glücklich zu werden!
Die Glücksforschung bestätigt es: Glück lässt sich nur dort finden, wo es nicht gesucht wird. Mit Jesus können wir das bestätigen, wenn er empfiehlt, das Leben nicht nach dem persönlichen Glück auszurichten, sondern nach etwas Größerem, dem Reich Gottes zu „trachten“. Dann werde einem alles andere zufallen.

Tipp 2: Lass dich einfach treiben!
Das ist für diejenigen, denen der erste Tipp zu anstrengend ist. Zu allem Ja sagen und allen Ansprüchen von außen nachgeben, ohne eigene Steuerung. Je mehr Hüte man aufhat, desto schrecklicher kann das werden! Dann wird 2025 garantiert ein episches Frustjahr!

Tipp 3: Denke so kurzfristig wie möglich!
Also nicht Psalm 90,12 beherzigen: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Nein, am besten gar nicht vorausdenken. „Der Schlüssel zu einem gescheiterten Jahr liegt darin, jede Gelegenheit zu tieferem Nachdenken zu ersticken.“

Tipp 4: Nimm dein Handy überallhin mit!
Damit kannst du sicher gehen, dass das Leben an der Oberfläche bleibt, weil man ja ständig mit banalen Updates fremder Leben beschäftigt wird: Das tolle Essen, der romantische Sonnenuntergang und Katzenvideos … jede Menge Katzenvideos. Ersatzweise Hühnervideos.

Zum Glück ist der Apostel Paulus nicht so ironisch unterwegs. Von ihm hören wir heute viel frohere und erbaulichere Worte besonders für einen Jahresanfang, aber nicht nur für den Jahresanfang. Ich lese aus dem Römerbrief im 12. Kapitel die Verse 9-16. Paulus schreibt:

Die Liebe sei ohne Heuchelei! Das Böse wollen wir verabscheuen, dem Guten hangen wir an. In geschwisterlicher Liebe sind wir einander zugetan, in gegenseitiger Achtung kommen wir einander zuvor. In der Hingabe zögern wir nicht, im Geist brennen wir, dem Herrn dienen wir. In der Hoffnung freuen wir uns, in der Bedrängnis üben wir Geduld, am Gebet halten wir fest. Um die Nöte der Heiligen kümmern wir uns, von der Gastfreundschaft lassen wir nicht ab.
Segnet, die euch verfolgen, segnet sie und verflucht sie nicht! Freuen wollen wir uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden. Seid allen gegenüber gleich gesinnt; richtet euren Sinn nicht auf Hohes, seid vielmehr dem Geringen zugetan. Haltet euch nicht selbst für klug!

Herr, segne dein Wort an uns! Amen.

Paulus beschreibt sein Idealbild einer christlichen Gemeinde. In der Luther-Übersetzung stehen hier lauter Aufforderungen. Deshalb habe ich die Übersetzung der Zürcher Bibel von 2006 gewählt, weil sie das originale Griechisch besser wiedergibt. Und im Original stehen lauter gute Verben: anhangen, einander zuvorkommen, nicht zögern, brennen, uns freuen, uns kümmern, segnen und wieder: uns freuen!
Die Hauptwörter erzählen von Liebe, Güte, Achtung, Hingabe, Geist, Hoffnung, Geduld, Gebet, Gastfreundschaft und dem Segnen als Tätigkeit.
Vom Bösen werden wir zum Guten hin ausgerichtet, vom Verfluchen zum Segnen, vom Hohen zum Geringen, von Bedrängnis zur Freude!

Paulus‘ fast schwärmende Darstellung der christlichen Gemeinde ist nicht banal. Natürlich können wir sie von uns weisen und sagen: So was gibt’s doch gar nicht in Kirchengemeinden! Deshalb ist es vielleicht für uns heute eine Verständnishilfe, wenn wir uns vorstellen, es gäbe keine Kirchtürme! Dass es keine Kirchen gibt und keine verfassten Kirchengemeinden, wie wir sie gewohnt sind. Denn das alles gab es im frühen Christentum ja auch nicht. Aber die Christen waren trotzdem erkennbar! Man erkannte sie an ihrem Verhalten, wie sie miteinander umgingen und wie sie sich Anderen gegenüber verhielten. Der Glaube, dass Christus in seiner Gemeinde lebt, legte die Grundlage für Bestimmte Verhaltensweisen. Und aus denen wurden regelrechte christliche Tugenden, ein christlicher Lebensstil mit Wiedererkennungswert.

Bei Tugenden denken wir an verstaubte Moral von gestern. Moral wollen wir nicht. Wir wollen selbstverantwortetes Handeln. Wir übernehmen die Verantwortung dafür auch gern. Wir wollen nicht nach Geboten und Verboten leben, dass es heißt „Tu das!“, „Lass das sein!“. Wenigstens wollen wir Begründungen haben – und das bringen wir doch unseren Kindern heute von Anfang an bei: Dass nichts einfach aus Willkür geschieht, dass wir Erwachsenen nicht etwa unsere Willkür an unseren Kindern ausleben, sondern dass wir immer unsere guten Gründe haben, wenn wir Verbote aussprechen. Und dass wir diese Gründe auch darlegen können. Und wir erwarten, dass unsere Kinder das verstehen. – Sie gewöhnen sich früh daran, Dinge auszuhandeln. Wir sagen also nicht mehr: „Lass das, das gehört sich nicht!“ oder „Benimm dich ordentlich!“ Was sich gehört und was ordentlich ist, das klingt nach verstaubten Sekundär-Tugenden und veralteter Moral.

Aber Tugenden können ganz schön Sprengkraft entwickeln. DIE Tugenden der frühen christlichen Gemeinden wurden bald zu ihrem gesellschaftlichen Markenzeichen. Es waren Verhaltensweisen, in denen sie sich von der Mehrheitsgesellschaft deutlich unterschieden. Frauen und Kinder wurden viel ernster genommen als in der Kultur der Römer. Besonders gegenüber Sklaven zeigte sich die ganz andere Einstellung der Christen, Herren und Knechte feierten gemeinsam Gottesdienst. Auch mit Fremden, mit Armen und Bedürftigen ging man menschlich um. Ganz anders als in der Mehrheitsgesellschaft. Wegen dieser anderen Umgangsweisen konnte man die Christen auch leicht eben an ihrem Verhalten, an ihren Haltungen und Einstellungen erkennen. Und genau diese Erkennbarkeit wurde dann in den Christenverfolgungen auch ihr Verhängnis.

Es gab aber einen Grund für all diese Unterscheidungsmerkmale und für den anderen Lebensstil. Der alles tragende Grund ihrer Lebensweise war, dass sie sich in ihren Hausgemeinden, wo man sich traf, als Leib Christi sahen – als ein Organismus, eine Gemeinschaft, in der alle organisch aufeinander bezogen sind und jedes Glied jedes andere Glied braucht.

Unmittelbar vor der heutigen Textstelle beschreibt Paulus diesen heißen Kern christlicher Identität. Vers 5: „… so sind wir, die vielen, in Christus ein Leib, im Verhältnis untereinander aber Glieder.“ Und damit meint Paulus: Gleichrangige, gleich wichtige Glieder – weil kein Kopf ohne Arsch sein kann – Entschuldigung!
Und der Witz ist – die frühen Christen sahen diese organische Verbundenheit nicht als Korsett an, sondern als eine tiefe Freude! – Die Freude an ihrer Lebensform war so groß, dass sie sogar Verfolgung und Martyrium aushielt. Wow!

An dieser Stelle erkennt man den deutlichen Unterschied zu irgendeiner Moral. Die Moral funktioniert mit Geboten, die möglichst befolgt und beachtet werden sollen. Die christlichen Tugenden dagegen waren einfach Ausdruck dieser Freude über Christus, über das Miteinander in der Gemeinschaft seines gedachten Leibes: Der christlichen Gemeinde, dem mystischen Leib Christi, dem Grund der christlichen Lebensfreude und des christlichen Lebensstils.

Betrachten wir noch die Rolle des Paulus. Auch da werden grundlegende Unterschiede deutlich zwischen den frühen Christen und heute. Wir heute sind es gewohnt, dass unsere Kirchtürme anzeigen, dass da eine Pfarrperson ist, die verantwortlich zeichnet dafür, dass Gottesdienst gefeiert wird, dass niemand vergessen wird, dass Menschen begleitet werden. Wir können uns christliche Gemeinde nicht ohne, nochmal Entschuldigung, „Leithammel“ vorstellen.
Natürlich war auch Paulus eine wichtige Führungsperson, ein Leithammel. Als Apostel war er mit der Hauptaufgabe betraut und beauftragt, die Freude, Leib Christi zu sein, lebendig zu erhalten. Aber erinnern wir uns: Paulus sieht sich als gleichrangiges Glied, nicht als Kapitän! Als beauftragter Verkündiger erinnerte Paulus seine Gemeinden daran, was der Grund für ihr fröhliches Christsein ist. Was ist der Unterschied? – Paulus besuchte viele Gemeinden und dann war er auch wieder weg. Zum Glück hielt er Kontakt zu den christlichen Gruppen und schrieb seine Briefe, die wir noch heute lesen können.

Wie ist es? Wäre die Matthäuskirchengemeinde mit einem besonderen Lebensstil und maßloser Freude, Leib Christi zu sein, auch noch erkennbar, wenn kein Pfarrer da wäre? Finden sich Menschen, die dann in diesem Geist diese Räume offen halten? Nicht mehr lange, dann wird dieser Fall eintreten.

Und Paulus erinnert daran, was der Glutkern christlichen Gemeindelebens ist: die Freude an Christus! Der Motor ist nicht der Apostel oder der Pfarrer – der Motor ist die Freude! –

Das ist mal ein gutes Motto für ein neues Jahr!