Caesarea ist bis heute eine schöne Hafenstadt am Mittelmeer im Norden des Staates Israel. Vor 2 ½ Tausend Jahren war dieser Hafen von den seefahrenden und handeltreibenden Phöniziern gebaut worden. Weil so eine Hafenstadt reich und ein guter Stützpunkt ist, wurde Caesarea mehrfach erobert. Auch der Römer Pompejus eroberte auf seinem Orientfeldzug 63 vor Christus die Stadt. Kaiser Augustus schenkte sie seinem jüdischen Günstling, Herodes. Der war einer der größten Bauherren der Antike und errichtete in der Stadt ein neues Forum, Theater und das Amphitheater, das noch heute steht. Am eindrucksvollsten aber ist ein 12 km langer Aquädukt, das vom Karmelgebirge im Norden bis an den Strand von Caesarea verläuft und die Stadt mit klarem Quellwasser versorgte.
Seit 6 v.Chr. war Caesarea Sitz der römischen Prokuratoren geworden. Von da an wurden Judäa und Samaria als Teil der römischen Provinz Syrien von hier aus regiert. Die Römer hatten die Kontrolle im Land endgültig in die eigene Hand genommen. Das Militär war präsent in einem großen Legionslager.
Ich erzähle von dieser Stadt, nicht nur, damit wir uns die Zeit Jesu und ihre Verhältnisse klar machen, sondern auch, weil von hier aus in der Römerzeit jedes Jahr zur Zeit des Passafestes ein gewaltiger Zug nach Jerusalem aufbrach. Denn, wenn die Menschen zum Tempel pilgerten, wurde es gefährlich. Unruhen konnten ausbrechen. Deshalb musste der römische Prokurator zu diesen Anlässen seine schöne Hafenresidenz verlassen und mit großem militärischem Gefolge nach Jerusalem ziehen.
Es war mal wieder Zeit und auch der Prokurator namens Pontius Pilatus musste die rund 130 Kilometer nach Jerusalem zurücklegen, um dort seinen alljährlichen Einzug zu halten. Es war ein Einzug mit Kolonnen von Pferden und Männern in Leder und klirrendem Eisen. Es gab Fahnen und Fanfaren – das ganze Aufgebot an militärischer Macht trat an – und das war auch der Sinn der Sache: Dass Jerusalem, die Brutstätte so mancher Aufstände gegen die Römer, mit eigenen Augen sehen konnte, dass das Kaiserreich gut gerüstet und bereit war. Die Menschen sollten sehen und begreifen, dass jede Form des Widerstandes hoffnungslos war. Und jedes Jahr im Frühjahr standen an den Straßen jubelnde Menschenmassen. Viele hatten sich ja mit den Römern verbündet. Die Kaste der Hohenpriester am Tempel und ihre Familien gehörten zu den Reichsten im Land – und im römischen Reich war es so, dass in den eroberten Provinzen die Reichen in die Politik aufsteigen konnten. Auch die einheimischen Steuerpächter ließen es sich nicht nehmen, Pilatus zuzujubeln. Jedes Jahr ersteigerten sie das Recht, die Steuern einzutreiben. Wenn sie sich bei diesen Versteigerungen gegenseitig überboten, dann mussten sie dem Volk umso mehr Steuern abpressen – es sollte sich ja auch für sie selbst noch lohnen. Und dann jubelten natürlich auch viele Handwerker und kleine Geschäftsleute, die mit den Römern Geld verdienten.
Aber viele ballten auch die Faust in der Tasche und betrachteten dieses Schauspiel mit Wut und Zorn. Schon fast 70 Jahre hielten diese römischen Heiden das Land besetzt und beuteten es aus. “Wie lange, Herr? Wie lange noch willst du dein Volk von diesen kriegswütigen Imperialisten mit Füßen treten lassen?” Und dann auch noch dieser sadistische Tyrann Pontius Pilatus, der schon mehrfach den Tempelvorplatz durch seine willkürlichen Gemetzel an unschuldigen Menschen in ein Schlachthaus verwandelt hatte. Dort kam er gerade angeritten – zu Pferd – in seiner golden schimmernden Rüstung, mit federgeschmücktem Helm und rotem Umhang. Schnittig, siegreich, unbesiegbar, unantastbar.
Dieses Spektakel, liebe Gemeinde, ereignete sich am Westtor, wo der Weg von Caesarea nach Jerusalem ging. Auf der anderen Seite der Stadt, am Osttor, wo der Weg von Jericho her in die Stadt führt, wurde an diesem sonnigen Frühjahrstag auch ein Einzug veranstaltet.
Ich lese Matthäus 21,1-9
1 Als Jesus und die Jünger in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: 5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« 6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Das war ein anderer Einzug, einer, der in vielen jüdischen Herzen einen Hoffnungsfunken weckte, unter Bauern, Hirten, Fischern, Sklaven und braven Leuten am Rand der Gesellschaft. Ein Prophet aus Galiläa hatte seinen eigenen Einzug genau auf diesen Tag gelegt – und was für einen Einzug, verglichen mit dem römischen am anderen Ende der Stadt! Auf einem Esel reitend – völlig allein – hielt dieser merkwürdige Mann seinen alternativen Einzug in der Stadt. Er hielt ihn gemäß dem Propheten Sacharja, der einst über Israel geweissagt hatte: Siehe, dein wahrer König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel.
Da erinnerte sich das Volk an das 1. Königebuch. Darin kann man lesen, wie der alte König David, seinen Sohn Salomo auf sein Lieblingsreittier, ein Maultier, setzen ließ. Der weise Salomo war auf einem Halbesel zu seiner Krönung geritten. – Und er wurde König und baute den Tempel, und nicht sein starker Bruder Adonija, der sich selbst zum König gekrönt hatte, der nicht auf einem Esel, sondern mit Pferdegespannen, Streitwagen und fünfzig Bewaffneten durch Jerusalem gezogen war.
Pferde taugten für den Krieg – Esel nicht. – Der mit dem Säbel gerasselt hatte, wurde nicht König, aber der friedfertige, Weise auf dem Maultier. Daran erinnerte sich das Volk lange.
Und sie strömten herbei. Die Elite der Stadt – die vornehmen Familien, die Priester und Mitläufer der Römer befanden sich ja bei Pilatus. Aber die Armen in Jerusalems East-end erlebten etwas, was sie nie wieder vergessen sollten. Sie erlebten einen Menschen, der es wagte, offen seinen Widerspruch zu zeigen gegen die alles beherrschende Weltmacht.
Völlig ruhig – aber auch auf eine Art und Weise, die sie beeindruckte – unerschütterlich saß er da auf seinem Esel in einem einfachen Gewand – ohne alle Pracht – geschweige denn Waffen – und doch innerlich strahlend wie einer, der sich auf der Gewinnerstraße befindet. Er saß da auf dem Esel des Sacharja und bestritt damit dem anderen Einzug, der gerade ablief, jede Bedeutung.
Das hat den Menschen ihre Würde zurückgegeben!
“Sie mögen mit der ganzen Maschinerie – mit all ihrer Macht, mit all ihren Pferden und Mannschaften auftreten. Recht bekommen sie nie. Sie können unterdrücken und töten, Gemetzel auf Gemetzel veranstalten – tausend Mal kreuzigen -, aber wahr wird ihr Vorhaben nie -, und deshalb sind sie zum Untergang verurteilt.”
Erst staunten sie. Dann jubelten sie, diese hoffnungslosen, an den Rand gedrängten Leute. Und schließlich tanzten sie um ihn und schnitten Zweige von den Bäumen und legten ihre zerschlissenen Kleider vor ihn als eine Huldigung – eine Huldigung an die Wahrheit, die ihre Hoffnung wiederbelebte.
Dort kam er und war gegenwärtig und ritt daher – mitten ins Zentrum der Macht, zum Tempel. Sie wussten es noch nicht, aber dort provozierte er die Hohepriesterclans mit seiner Aktion gegen die Händler und Wechsler. – Wo sollte das alles enden? – Konnte das überhaupt gut enden?
Aber vielleicht war ja doch jetzt die heiß ersehnte Stunde der Freiheit nahe? Gott hatte sich jetzt vielleicht endlich über sein Volk erbarmt! Hatte er das nicht immer getan?
“Hosianna – gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn…”
Jesu Einzug in Jerusalem war – genau wie derjenige des Pontius Pilatus – eine Demonstration, aber hier endet jeder Vergleich. Denn das römische Heer zeigte die Macht von Waffen und Gewalt. Jesus zeigte die Vollmacht, die ihn auswies als im Namen eines Höheren unterwegs. Jesus zeigte den Mut für aufrüttelnde Zeichenhandlungen. Nein, feige war er nicht, doch dann nichts als Sanftmut, Demut, Gewaltlosigkeit als Mittel zum wirklichen Frieden. Und so hat er den Menschen eine völlig andere Auffassung vom Menschen und von der Gesellschaft vorgeführt – eine Vision, wie man zusammen leben kann – ohne Gewalt – ohne Zorn. So wie sich die alten Propheten die Gemeinschaft im Geist Gottes vorstellten – eine Gemeinschaft, die auf Liebe und Barmherzigkeit gebaut war. Eine Gemeinschaft, die niemand als Gott Macht und Herrlichkeit zusprach. Eine Gemeinschaft, in der das Schwert zum Pflug umgeschmiedet wurde. Die blitzte da auf an jenem Tag in Jerusalem.
Der Kaiser in Rom baute sein Reich auf Befehl und Gehorsam und Angst vor Strafe. Auf die Macht des Geldes einer Sklavenhaltergesellschaft. Er ließ sich als ein Gott verehren, weil er das angeblich göttliche Recht des Stärkeren vertrat. Das Recht der Übermacht, alles zu bestim-men. Im Namen dieses Rechts beanspruchte er die Herrschaft über die ganze Welt.
Wir wissen, wozu die Gewalt der Mächtigen fähig ist. Und wir wissen, wie es diesen beiden Menschen, Pilatus und Jesus erging. Sie hielten an jenem Tag jeweils auf ihre Weise Einzug in Jerusalem. Und dann kreuzten sich ihre Wege und es geschah, was so oft geschieht, wenn Wahrheit auf Gewalt trifft.
Pontius Pilatus wurde wenige Jahre später vom Kaiser abgesetzt. Er war wegen seiner unnötigen Grausamkeit nicht mehr tragbar. – Und Jesus wurde fünf Tage nach seinem Einzug von den Römern gekreuzigt. Wie man es mit unbequemen Aufwieglern tat.
Ein schneller und effektiver Sieg für die Römer, kann man sagen – jedenfalls kurzfristig. Man hörte erstmal nicht sehr viel von diesem Jesus und seiner kleinen Prophetenbewegung. Seine Anhänger waren erstmal abgetaucht.
Aber dennoch, liebe Gemeinde, sitzen wir heute, 2000 Jahre später, hier und feiern Advent. Und das römische Weltreich ist vergangen – die römischen Götter gibt’s nur noch im Museum. Überall auf der Welt versammeln sich heute Menschen, um dem sanftmütigen König Lieder zu singen, der damals auf dem Esel in Jerusalem einzog. Und jetzt ist er es, der “Sohn Gottes” genannt wird – “Friedensfürst” – “Erlöser” – alles Titel, die der römische Kaiser hatte. Jetzt beten mehr Menschen zu ihm, als jemals Menschen einem römischen Kaiser zujubelten.
Ja, und was ist aus der Friedensbotschaft geworden?
Die Macht der Waffen dient auch heute noch ganz der Macht des Geldes. Der gelingt es heute immer gründlicher, ihre Ressourcen aus diesem Planeten herauszupressen. Es toben Kriege um Einflusssphären, um Lagerstätten, um Kohlenstoffsenken. Das Geld erfindet immer neue Wege, sich zu reproduzieren und die Armen arm zu halten, eine immer absurder reichere Elite zu nähren und die noch Besitzenden in Verlustängste zu stürzen. Und auf den Ängsten surfen die Populisten und Faschisten, wie man es nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Der imperiale Geist ist tief in die Herzen eingedrungen, dass man ihn fast nicht mehr wahrnimmt.
Aber diese unerschütterliche kleine, für viele lächerliche Friedensbotschaft von Jesus, für die er ganze vier Tage in Jerusalem Zeit hatte, die besteht noch immer. Es ist die Botschaft, dass Gewalt und Hass und Ausbeutung nicht siegen können. Mit dem Bild Jesu auf dem Esel verbindet sich die unerschütterliche Hoffnung, dass Gott das Gute und das Wahre und das Menschliche bewahrt. – Für keine geringere Hoffnung brennt heute die erste Advents-Kerze.
Jetzt ist es an uns, die Hoffnung aufzugreifen.
Wem werden wir zujubeln? Pilatus? Oder Christus?
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus! Amen.