Predigt von Pfr. Dr. theol. Stefan Bauer
am 15.9.2024, Matthäuskirche Landau über Psalm 16,1+5-11
(unter Verwendung einer Predigt von Michael Herbst)
Liebe Gemeinde,
es gibt einen Moment, in dem sich ein Mensch, obwohl er schon gestorben ist, noch einmal offenbart: bei der Testamentseröffnung. Wenn es um das Erben geht, offenbaren sich manchmal Gedanken, die so nie ausgesprochen wurden oder die man zuvor nicht verstanden oder nicht ernst genommen hat.
Es gibt sehr skurrile Vermächtnisse. Da hat z.B. 1955 ein ita-lienischer Schauspieler seinem Theater viel Geld vermacht, unter der Bedingung, dass er nach seinem Tod den Totenschädel in Hamlet spielen darf.
Ich habe mal ein Testament eines Gemeindeglieds vollstreckt, in dem ein Pferd alles erbte.
Aber schräg drauf sind oft nicht nur die im Amtsdeutsch sogenannten „Erblasser“, sondern auch diejenigen, die erben. Schräg drauf, hochsensibel und zu allem bereit. Und daran zerbrechen dann gerne mal ganze Familien.
Da heißt es dann, die Tochter und die Großnichte erben das Vermögen, der Sohn die Briefmarkensammlung. Und der Sohn hasst Briefmarken. Und schon bricht ein Krieg aus.
Wer bekommt jetzt Omas Häuschen? Warum kriege ich gefühlt so viel weniger? Warum kriegt der da überhaupt etwas!
Im Hintergrund des heutigen Bibeltextes geht es auch um eine Testamentseröffnung. Stellen wir uns also folgende Situation vor: Alle sitzen gespannt da. Es sind zwölf Erben. Das zu erbende Land wurde in gleich große Stücke aufgeteilt und jetzt bekommt einer nach dem anderen sein Erbteil zugelost. Prima Lage, großzügig bemessen, fruchtbar.
Einer nach dem anderen. Bis zum 12. Als der 12. an der Reihe ist, lautet die Auskunft: Und du, lieber Levi, du erbst – Gott!
Große Augen: Wie bitte? Ja, steht hier: Du erbst – Gott!
Das Merkwürdige an dieser besonderen Testamentseröffnung ist jetzt: Der 12. Erbe beschwert sich nicht. Er erklärt seinen Brüdern nicht den jüdischen Erbschaftskrieg.
Er jubelt: Ich erbe Gott! Was er wohl zu Hause erzählt hat, als Frau Levi ungeduldig fragte: Nun sag schon, was haben wir gekriegt? – Gott, sagt er, und strahlt vor Freude!
Diese Szene fand statt unter den zwölf Stämmen Israels nach der Befreiung aus Ägypten, der Wüstenwanderung und der Eroberung des gelobten Landes. Sie bekommen alle Land, nur Levi nicht. Denn Levi war dazu bestimmt, den Dienst am Tempel zu tun, er ist für den Gottesdienst zuständig, das Lob Gottes, das Gebet, die großen Feste. Doch auch Levi ist versorgt. Er wird gut leben können von Spenden und Abgaben. Von seinem Anteil an den Opfergaben, die die anderen 11 zum Tempel bringen. Auch Levi ist in seinem besonderen Dienst versorgt und wird von der Gemeinschaft getragen. Und so konnte auch er jubeln: Das Los hat es gut mit mir gemeint: Ich habe es bestens getroffen. Gott selbst ist mein Anteil am Erbe!
Das klingt schon seltsam, oder? Hand aufs Herz: Wie wäre es uns gegangen an Levis Stelle? Stellen wir uns ganz praktisch vor, wir sitzen bei einer Testamentseröffnung und es heißt: Du erbst – Gott. Nicht das Land, nicht das Haus, nicht das Vermögen, nicht den VW, nicht die Dauerkarte vom FCK, nicht das Ferienhaus in Schweden. Nur Gott. Wie würden wir reagieren? Was würde unser Gerechtigkeitssinn dazu sagen? Was wäre in uns los? Wut? Neid? Nur Gott? – Dafür kann ich mir nichts kaufen!
Der 16. Psalm nimmt diese uralte Geschichte auf. Da betet einer, der solch ein seltsames Erbe angetreten hat. Und er jubelt:
„Gott ist mein Gut und mein Teil. […] Mir ist ein schönes Erbteil geworden!“
Das, was anfangs nur von Levi und seiner Familie galt, wird hier sozusagen „demokratisiert“, es gilt für alle Menschen, die glauben. Es wird zur Grundhaltung des Glaubens, zur Herzenseinstellung derer, die Gott lieben. Ich lese aus Psalm 16 (1+5-11):
„Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich.
Ich habe gesagt zu dem HERRN: Du bist ja der Herr! (…)
Der HERR ist mein Gut und mein Teil;
du hältst mein Los in deinen Händen!
Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land;
mir ist ein schönes Erbteil geworden.
Ich lobe den HERRN, der mich beraten hat;
auch mahnt mich mein Herz des Nachts.
Ich habe den HERRN allezeit vor Augen;
er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.
Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich;
auch mein Leib wird sicher wohnen.
Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen
und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe.
Du tust mir kund den Weg zum Leben:
Vor dir ist Freude die Fülle
und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.“
Da, liebe Gemeinde, spricht der Glaube sein Innerstes aus: Gott allein! In einem anderen Psalm heißt es: „Wenn ich Dich nur habe, dann frage ich nicht nach Himmel und Erde“.
Wie kann das sein, dass Menschen so ergriffen sind? Dass Gott nicht nur schönste Nebensache der Seele wird, sondern zum Mittelpunkt ihres Lebens? Wie kann das sein, dass sie nicht nur etwas von Gott haben wollen, gute Gaben, Schutz vor Unfall, einen gedeckten Tisch, Frieden in der Welt und eine Versicherung für das Leben nach dem Tod? Wie kann es sein, dass Menschen nicht nur dies oder jenes von Gott haben wollen, sondern ihn selbst? Wie kommt es, dass Menschen Gott tatsächlich nicht nur einfach glauben oder gar Gott fürchten, sondern Gott lieben? Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit dem ganzen Verstand und von allen Kräften?
Warum nicht „America first“ oder „mein Wohlergehen first“, warum „Gott first“?
Der Beter von Psalm 16 hat darauf eine Reihe von Antworten. Die erste und wichtigste Antwort ist: Es ist die pure Freude. Mein Herz freut sich, meine Seele ist fröhlich! Gott ist pure Freude! Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich. – Luther übersetzte das so schön: Wonne ist eines dieser schönen alten deutschen Wörter! Wonne ist mehr als Freude, es ist ein Lebensgefühl, eingetaucht und gebadet in Frohsinn, tiefes Wohlgefühl. Es gibt den Wonnemonat Mai, der unsere Seelen aufatmen lässt, es wird alles weit und neu und frisch und atmet diesen unverwechselbaren Frühling. Gott ist pure Wonne, der vollkommene Mai! Er ist kein verkniffener Gerichtsvollzieher, kein fernes höchstes Wesen, kein finsterer Tyrann. Gott ist pure Wonne! Warum: Weil wir seine Idee sind. Weil er alles in uns investiert, die Jahreszeiten, unsere Gaben, eine Welt, in der wir leben können, unkaputtbare Zuneigung, große Geduld. Weil er uns erträgt, uns mehr oder weniger seltsame, in uns verbogene, liebenswerte und verachtungswürdige Wesen.
Gott kennen, das bedeutet zu wissen: Ich bin nicht nur Teil dieser wunderbaren Schöpfung, nicht nur lebendig unter Lebendigem. Ich werde auch getragen und gestärkt von der Quelle her, aus der das Leben fließt. Gott hält mich auf der Seite des Lebens! Leid und Not und Abschied gehören auch in diese Welt. Aber sie können uns nicht kaputtma-chen, denn: „Der Herr ist mein Gut und mein Teil.“ Freude pur!
Daran hängt auch die zweite Antwort: Er ist Halt und Hilfe, wenn unser Leben, wie jedes Leben, schwierig wird. Der Psalm beginnt ja mit einer Bitte. „Bewahre mich Gott, denn ich traue auf dich.“ Da betet nicht einer, der gerade vom Deck des Kreuzfahrtschiffes mit einem Cocktail in der Hand den Sonnenuntergang genießt. Da betet einer, dem es nicht gut geht, der in Gefahr ist. An wen soll er sich wenden? Wem kann er trauen?
Es ist eben nicht so, dass die Liebe zu Gott das Leben zu einem Spaziergang macht: Psalm 16 wurde König David zugeschrieben. Der war wohl einer der größten Könige in Israel. Aber dennoch ein Mensch mit vielen Brüchen: einer, der auch seine Macht missbrauchte, einer, der sich Frauen gegenüber gelinde gesagt rücksichtslos verhielt, einer, dessen Beziehung zu fast allen seinen Kindern scheiterte, einer, dessen Leben von Gewalt begleitet war. Was trägt in einem solchen Leben?
Nur Gott, sagt der David des Psalm 16. Nur er ist mein Teil. Nur er bringt mich da durch, nur er kann das noch rausreißen, dass es noch gut werden kann mit mir und dem, was ich in meinem Leben wollte.
Daran hängt dann auch die dritte Antwort auf die Frage, warum Gott an erster Stelle? Es gibt ja Alternativen. Es gibt immer andere höchste Werte, mächtige Ideen, spirituelle Angebote. Sie versprechen viel. Aber sie halten nichts.
In religiöser Sprache ist das die Definition von Götzen. Man erkennt sie daran, dass sie mit der Zeit das Leben viel enger machen, statt weiter und freier.
Da gibt es Vieles, was sich an die erste Stelle in unserem Leben schieben will. Das naheliegendste ist immer das Ich, an dem wir unentwegt basteln sollen. Wir sollen es optimieren. Es muss zu einem lifestyle veredelt werden, der sich sehen lassen kann. Der Drang ist groß, uns selbst zu kuratieren, wie ein Kunstwerk. – Dabei vergisst man leicht, dass wir ja alle längst Kunstwerke sind – und zwar aus Gottes Hand. – Neulich wurde in der Rheinpfalz über die Generation von 60 bis 70 berichtet. Die Umfrage kam zu dem Er-gebnis, dass die Mehrheit in dieser Altersgruppe sich erstmal Wünsche erfüllen und an sich denken möchte. Viele würden daran denken, sich noch einmal zu verändern.
Du kannst alles werden – das ist auch so ein Versprechen unserer Zeit, das leicht zum Götzen mutiert, auf dessen Altar dann geopfert wird. – Wir leben in Überforderungen, Bilder vom angeblichen Glück trüben die Sicht auf die vielen Gründe zu Freude und Dankbarkeit und dann folgt Erschöpfung, weil die Bilder vom angeblichen Glück uns überfordern. – Menschen, die sich da getragen wissen vom Grund, von der lebendigen Quelle her, die sind vielleicht am Ende die mit der größten Resilienz.
Nur Gott ist mein Gut und mein Teil, heißt es im Psalm. Alles andere ist ja gefährdet, dem Vergehen, dem Versagen, dem Irregehn unterworfen. König David kennt sich darin aus.
Und so lautet die vierte und letzte Antwort: Du tust mir kund den Weg zum Leben.
Der Beter sagt: Du hast mich beraten. Und mein Herz mahnt mich des Nachts. Die Basisbibel übersetzt: In den Nächten erinnert mich mein Gewissen an seine Weisun-gen. Und am Ende eben: Du zeigst mir den Weg zum Leben.
Ich denke an unsere Kinder. Irgendwann haben wir sie losgelassen, weil sie ihr eigenes Leben führen müssen. Das schöne, schwierige und gefährliche Leben.
Und was ist dann ihr Kompass? Was gibt dann Halt und Orientierung in dieser komplizierten, herzzerreißend schönen und erschütternd abgründigen Welt?
Wie wächst dann die Fähigkeit, zu widerstehen, standhaft zu sein, wenns drauf ankommt? Wie wächst die Fähigkeit zur Empathie, die Gabe, von sich absehen zu können aus Liebe? Wie bleibt die Verbindung zu Gott bestehen?
Du tust mir kund den Weg zum Leben.
Das sind nicht nur Gottes Gebote, von denen man etwas gehört und verstanden haben sollte. Es ist das grundsätzliche Zutrauen Gottes in uns. Es ist das Gefühl, von ihm ge-wollt, von ihm geliebt, von ihm begabt zu sein – mit allem, was wir brauchen werden. Das ist es, was man Kindern mitgeben sollte. –
Jetzt könnte man sagen: Wenn „Gott first“ so grundentscheidend ist, was ist denn dann mit all dem anderen, was schön ist auf dieser Erde und in diesem Leben.
Nur Gott? Kein Erdbeerkuchen und kein Bach-Konzert? Kein tolles Auto und keine Schmetterlinge im Bauch? Kein Stolz auf die gute Prüfung und kein Ehrgeiz im Beruf? Keine tiefe Liebe zu Partner und Kind? Steht dieses „Nur Gott“ denn in Konkurrenz zu allem, was schön ist auf Erden und in diesem Leben?
Nein – aber ganz nüchtern betrachtet ist es so, dass alles vergeht. Und ganz nüchtern betrachtet: wenn wir in dieses Leben kommen und auch, wenn wir wieder dieses Leben verlassen, dann gibt es nur diesen einen Grund, der trägt: Nur Gott.
Sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.