Predigt über Matthäus 13,44-46
von Pfr. Dr. Stefan Bauer (Lit.: Klaus Berger, Jesus, S. 354ff)
Stiftskirche und Matthäuskirche Landau, 28.07.2024
Liebe Gemeinde,
von weitem sah es aus wie eine Ameisenstraße, die sich den vereisten Chilkoot Pass hochschlängelte. Auf 800 Metern 305 Höhenmeter, die zu überwinden waren. Überall am Weg lagen Gepäckstücke, manchmal auch ein Mensch, der zusammengebrochen und an Ort und Stelle erfroren war. Denn wer sich für den Aufstieg keinen Träger leisten konnte, der musste Proviant für ein Jahr selbst den Berg hinaufschleppen. Und oben an der kanadischen Grenze standen die Polizisten im roten Rock und kontrollierten: u.a. mussten die Goldsucher 100 Pfund Zucker, 500 Pfund Mehl und 500 Kerzen vorzeigen, insgesamt eine knappe Tonne Gewicht. Und wer daran allein trug, musste die 53 Kilometer des ganzen Trails 30 mal schwer beladen hin- und herlaufen. Eine Strecke von fast 3000 Kilometern. Von den 100000 Glücksrittern, die von 1896 bis 1899 zu den Klondike Goldfeldern wollten, erreichte nur die Hälfte ihr Ziel, ihr erträumtes El Dorado.
Als die ersten Nachrichten über die Goldfunde durchkamen, verließen Tausende innerhalb weniger Stunden ihren Arbeitsplatz: Händler ließen ihre Läden im Stich, Frisöre ihre halbrasierten Kunden, Pfarrer verließen ihre Gemeinden, Polizisten verschwanden von der Kreuzung. Eine Zeitung in Seattle verlor an einem Tag die Hälfte ihrer Journalisten, den Kupferminen in Kalifornien lief innerhalb von zwei Wochen die Hälfte der Bergarbeiter fort. – Menschen, die ihre Goldader suchen, die ihren Schatz suchen, sind nicht mehr sie selbst. Sie tun verrückte Dinge, sie gehen über Leichen, sie riskieren ihr eigenes Leben, sie setzen alles daran. –
Die Gleichnisse Jesu, die uns für heute aufgegeben sind, beschreiben solche Menschen. Und das wundert mich.
In Matthäus 13 erzählt Jesus seinen Jüngern folgende beiden kurzen Gleichnisse:
Matthäus 13,44-46
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Liebe Gemeinde, die Helden dieser zwei kurzen Gleichnisse sind ähnliche Draufgänger, wie die Goldsucher des Klondike und die Glücksritter auf der Suche nach dem El Dorado. Ich konzentriere mich auf den Mann an, der den Schatz entdeckt.
Wie raffiniert dieser Mensch vorgeht! Er findet einen Schatz, sagt aber dem rechtmäßigen Besitzer nichts davon!
Stattdessen kauft er das Grundstück zum normalen Preis und kann sich die Hände reiben, weil er jetzt den Schatz bekommt, ja, im Grunde durch Betrug.
Und so einer wird uns als Vorbild hingestellt!
Jesus muss sich mit Geldgeschäften ausgekannt haben, vielleicht haben sie ihn sogar fasziniert, weil er sie so oft als Beispiel nahm. Ob in der Geschichte vom untreuen Verwalter (Lk 16), wo einer sich mit einem fremden Vermögen aus dem Staub macht, nachdem er sich mit Geld Freunde gemacht hat oder im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt 25), wo der Knecht bestraft wird, der sein Geld einfach aus Angst verbuddelte, statt damit Geschäfte zu machen und es zu vermehren. Immer scheint es um eine einzige Sache zu gehen: Hemmungslos Gewinn machen.
Aber selbst wenn Jesus Geldgeschäfte vertraut waren, so kann das doch nicht sein Ernst sein, dass er jetzt möchte, dass wir uns im Glauben wie im Wirtschaftsleben verhalten? – Die Bibel ist doch kein Handbuch für Kapitalgeschäfte und Grundstückskauf.
Bei jedem Gleichnis muss man die Frage stellen, was verglichen werden soll: Und hier geht es Jesus um die Besessenheit der Schatzsucher und die Klugheit der Geschäftsleute. Nur das Objekt der Begierde ist ein anderes. Denn es geht nicht um einen Goldschatz und nicht um eine kostbare Perle, sondern um den wichtigsten Gewinn, den das Leben haben kann:
das Himmelreich!
Die Intelligenz und Entschlossenheit, den Geschäftssinn und die Tatkraft der Wirtschaftslenker, die wünscht sich Jesus bei uns, wenn es um die Leidenschaft für das Himmelreich geht! Für diesen Lohn empfiehlt er sogar krumme Geschäfte. Weil es dabei offenbar um alles geht! Und zwar um alles, nicht erst nach dem Tod, sondern schon jetzt – so, wie Jesus um sich das Himmelreich aufblühen lässt.
Wie kann der Mann aus dem Gleichnis dabei zum Vorbild werden? Er verkauft buchstäblich alles, was er hat. Das ist eine Haushaltsauflösung samt Geschäftsaufgabe mit Räumungsverkauf und Versteigerung der Wohnung. – Dieser Mensch gibt alles dran, alles Ererbte und Liebgewonnene, den Tisch der Eltern, das Geschirr in der Küche, das Clopapier auf dem Clo. Nur so kommt es genau hin. Billiger geht es nicht, für das Schatz-Grundstück muss er alles drangeben. Und genau mit diesem “alles auf eine Karte setzen” gleicht dieser Mann den Goldgräbern. Allerdings mit dem Unterschied, dass er den Schatz und seinen Fundort schon genau kennt.
Dem Christentum wird gern vorgeworfen, dass es die Menschen vertröstet. Hier nicht. Dieser Mann weiß genau, was er will, und es ist erreichbar, sogar im Grunde ohne Opfer. Denn obwohl der Mann ja alles hergeben muss, tut er es “in Freude”, wie Jesus sagt. – So etwas gibt es sonst nur, wenn es um die Liebe geht: Mit Freude alles verkaufen, was man hat, alles zurücklassen und hergeben und außer dem Schatz alles Andere vergessen!
Diese Fähigkeit wünscht sich Jesus von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern: Sie sollen aus Freude alles dransetzen, das Eine zu gewinnen.
Wir sehen es bei Jesus selbst, wir sehen es bei den Jüngerinnen und Jüngern, wir sehen es bei Paulus: Zu diesem frühen Christentum gehört der freudige Befreiungsschlag, der Abschied von Besitz, oft auch der Abschied von Familie. – Es ist nicht so, dass das keine Verluste wären, dass solche Abschiede damals keine Schmerzen verursacht hätten. Aber Jesus ging nur einmal vorüber im Leben dieser Menschen. Und dann hieß es Mitgehen oder es geht alles so weiter wie bisher. Paulus hat das “Mitsterben” genannt, “Mitgekreuzigtwerden” mit Jesus in der Taufe.
Wenn jemand in diesen Zeiten Christ wurde und sich taufen ließ, dann war das häufig der Ausstieg aus allen sozialen Sicherungsnetzen. Es war, als hätten alle zu einem gesagt: “Für uns bist du gestorben!”
Die frühen Christen sind nicht allseits geborgen und sozial gut versorgt, sondern sie sind durch die Narben des Abschieds gezeichnet. – Jesus war in das Leben dieser Menschen getreten und sie spürten das Himmelreich, das ihn umgab, das von ihm ausging, das er um sich schuf: Die Annahme der Verstoßenen, das Ernstnehmen der Menschen und ihrer Lebensanliegen, die Ermutigung, neu anzufangen, die Ausrichtung auf die Mitgeschöpfe. Heilung. Himmelreich.
Jesus wünscht sich nicht Menschen, die allseits ausgeglichen in sich selbst ruhen und nur um ihre Gesundheit und ihr Ansehen besorgt sind. Jesus ist für diejenigen, die das Risiko der Einseitigkeit eingehen und alles auf eine Karte setzen. Er hat Sympathie für Menschen, die ihre Zeit nicht totschlagen müssen, sondern sich jeden Tag bewusst auf das Wesentliche konzentrieren, das, was Bestand hat, das, was Spuren der Liebe hinterlässt.
Jesus sucht Leute, die auf den Himmelreichs-Schatz wie versessen ist, die gierig und verbissen nur an ihn denken. Leute, die bereit sind, alles auf eine Karte zu setzen, die fähig sind, alles, wirklich alles dafür zur Disposition zu stellen. Leute, die 3000 statt 53 Kilometer gehen und dabei tonnenschwerre Berge versetzen, weil sie dafür brennen, weil sie ein Ziel vor Augen haben.
Und fangen erstmal einige an, für das Himmelreich gemeinschaftlich gelungenen, gerechten Lebens innerlich zu brennen, dann wirkt das ansteckend:
Von Sören Kierkegaard stammt das Bild von den Wildgänsen. Wenn die zahmen Gänse ihre wilden Verwandten fliegen sehen, dann fangen sie am Boden auch an, mit den Flügeln zu schlagen. Auch sie wollen abheben und aufsteigen und mitziehen.
Trotz der Sicherheit ihres Gatters, in dem sie täglich Futter finden, packt sie die Sehnsucht.
Auch wir in unserem Alltagsgatter erfahren von Jesus und hören von ihm, spüren die große Freiheit, die er durch die Einheit mit Gott gewinnt. – Wir teilen nicht Jesu Lebensstil. Wir wollen unsere Heime und unsere Familien nicht aufgeben, nicht von heute auf morgen aufbrechen aus unserem Leben, das sein Auskommen hat und seinen Rhythmus und seine Sicherheit. Wir wollen nicht alles abbrechen und dem Ruf Jesu folgen, wie Jack London dem Lockruf des Goldes.
Aber irgendwann und immer mal wieder in unserem Leben kommen Situationen, da wir ein Stück dieser Freiheit und den Geschmack dieser Sehnsucht gut gebrauchen können.
Und wenn wir dann im Anruf stehen und loslassen und folgen können, dann werden wir Erfahrungen machen, die uns erfüllen und Schätze finden, die uns selig machen. Denn dann ist das Himmelreich nah.