Der Gott der Gelassenheit

image_pdfPDF herunterladenimage_printText drucken

Gedanken von Pfr. Dr. Stefan Bauer beim Stärkungsgottesdienst zu “Glaube und Resilienz” am 26.02.2025 über ein Gedicht von Hanns Dieter Hüsch (1961 oder früher)

Warum passiert das zu meiner Zeit? – Warum passiert es zu unserer Zeit?
Wir werden kaum die Ersten sein, die so fragen. Frodo hat in Tolkien’s “Herr der Ringe” eine Menschheitsfrage gestellt.
Es geht um die Geschehnisse auf der Welt auf der einen Seite und um den und die Einzelne auf der anderen Seite. Es geht um die Ohnmacht, die aufkeimen will angesichts der Veränderungen, die geschehen. Noch sind wir Zeuginnen und Zeugen vor unseren Nachrichtenmedien und Augenreiben nutzt gar nichts.

Gandalf antwortet Frodo weise: Nutze die Zeit. Gewinne dein Zeitgefühl zurück. Spüre dich selbst. Triff Entscheidungen über das, worüber du entscheiden kannst: heute auf dem Wahlzettel, morgen auf der Straße, übermorgen im Herzen oder mit der Hand.
Wie Jesus sagt: Jedem Tag seine eigene Sorge lassen. Das jetzt Machbare tun, wozu uns unser Herz treibt.

Ich habe ein Gedicht mitgebracht von Hanns Dieter Hüsch. Es spricht davon, wie die Planungsintervalle im Leben kürzer werden können und es baut auf den Gott der Gelassenheit. Ich lese die Strophen eine nach der anderen, sechs Stück. Ich spüre den Botschaften nach.

Lasset den Himmel hoch oben
und die Hölle in Ruh.
Wollet die unerbittlichen Nächte loben,
den Leib und die abgelaufenen Schuh.

Meine Gedanken: Nichts ist verantwortlich für meinen unruhigen Schlaf, für Krankheit, für eigenes Unglück, für fernen Krieg. Nichts als die Menschen ist verantwortlich. Und deshalb lasst doch den Himmel und die Hölle in Ruh. Danke für die Bisse des Gewissens, danke für die Schmerzen in den Knochen, danke für die Mühen und Wege, denn sie sind Leben.

Kommen die Nöte zuhauf,
nehmet den Mund voll Melancholie.
Niemand steht für euch auf,
niemand und nie.

Niemand steht jemals für mich auf – ich muss es selbst tun. Aufstehen gegen Ohnmachtsgefühle und Depression und dabei nicht mit dem Optimismus-Scheinwerfer blenden. Sondern sehen und sagen, wie es ist. Hinschauen um den Preis der Melancholie.

Leget das Haupt in die Hand,
wenn ihr verletzt und verlassen seid.
Lobet die Uhren aus Sand,
lobet den Gott der Gelassenheit.

Wenn man sich die Lebenswunden geholt hat und Einsamkeit spürt, dann lehrt mich die Sanduhr, dass es kein Stehenbleiben gibt. Sie rieselt immer weiter bis ganz ans Ende. Erst dann ist entschieden, wie mein Leben war.
Und Gott ist noch dort, wo er immer war. Gelassen, liebevoll, bestärkend.

Lasset den Wald und das Gras
öffentlich mit euch sprechen.
Lobet den täglichen Spaß
und das tägliche Kopfzerbrechen.

Die zweite Hälfte des Gedichts schaut auf die Haben-Seite des Lebens: Es gibt noch Wald und Gras und Grün zum Drinbaden, zum Riechen und Hinhören.
Es gibt den Segen des Humors. Menschen mit eingebauter Sonne. Und jeden tag können wir neue Lösungen finden. Jeder Tag hat seine Sorge und Wege und Lösungen.

Achtet das Brot und den Wein,
trachtet nicht nur nach Gewinn.
Seht, es weiß keiner von eurem Gebein
woher und wohin.

Die beiden Seiten dieser Medaille hat Jesus auch immer mal wieder beschrieben: Es geht vermutlich nicht doch beides – das Steigerungsspiel, das Zugewinnspiel spielen und in Menschengemeinschaft gut und solidarisch leben. Jesu grenzenloses Verschenken war keine Charity, sondernHingabe.

Strecket den Leib nach der Decke,
damit ihr so schnell nicht zu fassen seid.
Lobet die Wurzel, den Wurm und die Schnecke,
lobet den Gott der Gelassenheit.

Vielleicht hat jede Zeit ihren Ring der Macht. Den Ring, alle in Finsternis zu binden.
Aber jeder Mensch hat ein Rückgrat. Nicht, dass einer davonkäme – aber die mit geraden Rücken werden nicht so schnell erfasst.
Die Wurzel ist unsichtbar im Boden und man sieht nicht, wie tief sie reicht.
Der Wurm ist klein und ungepanzert. Aber er braucht nicht viel zum Leben.
Die Schnecke geht langsam, aber sie vergisst nicht ihr Ziel.
Und Gott ist da, wo er immer war. Gelassen, liebevoll, bestärkend.

Amen.