Predigt von Pfr. Dr. Stefan Bauer am 23.3.2025 in der Matthäuskirche Landau
Jeremia 20,7-13
Du hast mich überredet, HERR,
und ich habe mich überreden lassen;
du hast mich gepackt und überwältigt.
Den ganzen Tag lang werde ich ausgelacht,
jeder macht sich lustig über mich.
Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf.
Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich.
Deine Worte, die ich schreie,
täglich machen sie mich vor den anderen zum Gespött.
Aber, wenn ich sage:
“Ich will nicht mehr an Gott denken
und nicht mehr in Gottes Namen reden“,
dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer,
in mir drin.
Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen,
aber ich kann es nicht unterdrücken.
Viele höre ich flüstern, ein Schrecken ringsum:
„Zeigt ihn an! Wir wollen ihn verklagen!“
Sogar meine besten Freunde,
mit denen ich Frieden habe,
lauern auf einen Ausrutscher von mir:
„Vielleicht lässt er sich überlisten,
so dass wir ihn überwältigen
und unsere Rache an ihm nehmen!“
Der HERR aber ist bei mir
wie ein mächtiger Held.
Darum straucheln meine Verfolger
und können nichts ausrichten.
In tiefer Schande stehen sie da,
weil sie nicht verständig gehandelt haben.
Diese Schande bleibt immer an ihnen hängen.
Der HERR der Heerscharen aber prüft den Gerechten,
er sieht Nieren und Herz, Willen und Begierde.
Lass mich sehen, wie du sie jetzt strafst,
die mich ausgelacht haben.
Denn dir habe ich meinen Rechtsstreit anvertraut.
Singt dem HERRN, lobt den HERRN,
denn aus der Hand der Übeltäter
hat er das Leben des Armen gerettet.
Liebe Gemeinde,
als unsere Konfirmanden noch nicht mit den Konfirmanden der Stiftskirche zusammen waren, haben sie hier ihre Matthäuskirchengemeinde ganz lieb unterstützt und waren eine große Hilfe beim Verteilen der Gemeindebriefe. Natürlich war das nicht ganz freiwillig – aber es gab auch keinen Protest. Ich glaube, die Eltern haben das auch unterstützt. Und einige haben sich zusammengetan und beim Verteilen auch eine schöne Zeit gehabt.
Es war für mich immer ein kleines Wunder, wenn Familien auch nach der Konfirmation gesagt haben: Wir helfen noch eine Weile, wir übernehmen noch unsere Straße.
So war es auch beim letzten hier konfirmierten Jahrgang vor zwei Jahren. Ein Mädchen mit ihrer Mutter sagte: Wir machen noch weiter, wir helfen noch beim Austragen.
Diese Woche jetzt kam eine E-Mail, dass sie das jetzt doch mal wieder abgeben wollen, was ich ja total gut verstehe.
Hier ist, was ich auf die E-Mail geantwortet habe: „Erstmal ganz lieben Dank für die tolle Unterstützung! Freiwillige Helfer sind immer knapp und ohne sie gibts kei-ne Gemeinschaft, deshalb find ich das großartig, dass ihr als Familie euch so für die Gemeinschaft eingesetzt habt!!!
Mich freut es, wenn Kirche und Gemeinde nicht als kalte Institution wahrgenommen werden. Ich arbeite dafür, dass Kirchen als Orte von Menschen für Menschen gelebt werden. Wenn irgendjemand etwas für die Gemeinschaft tun möchte, dann müsste einem sofort einfallen, mal in der Kirchengemeinde vorbeizuschauen… 🙂
In dem Sinn tausend Dank, liebe Grüße, bis bald mal wieder!“
Kirchen als Orte von Menschen für Menschen. Das meine ich ernst, das ist mir wichtig. Nur gemeinsam können wir Gemeinde sein!
Paulus hat ja das Bild geprägt, dass die Gemeinde wie Christus ist. Wenn wir an die Anfänge zurückblicken, dann war da erstmal Jesus und die, die er um sich versammelte. Alles ging von Jesus aus:
Jesus erläuterte Torah und Propheten, Gottes Wort
Jesus diskutierte mit den Zweiflern
Jesus erzählte Gleichnisse
Jesus segnete die Kinder
Jesus ging zu den Verachteten und Verstoßenen
Jesus heilte die Menschen
Jesus rief die Menschen in ein neues Leben
Jesus vollzog Zeichenhandlungen z.B. im Tempel
Jesus – das Allroundtalent, der allseits Begabte,
denn es war ja Gottes Geist in ihm.
Bei uns heute ist es anders. Es gibt keinen, der alles kann und alle anderen brauchen nur nachzufolgen. Und es wäre ja auch unmöglich, das zu tun, was Jesus tat. Niemand ist so vom heiligen Geist beflügelt, wie Jesus, Gottes Sohn, es natürlich war.
Heute sind all die Gaben, die Jesus in sich vereinte – auf uns alle verteilt. Heute ist Gottes Geist nicht in einer von uns, sondern er ist da, wenn wir zusammenkommen. Dann fängt er an zu wirken: In der Gemeinschaft, in Bezug auf die Gemeinschaft und von der Gemeinschaft aus in die Welt. – Das meine ich mit „Menschen für Menschen“.
Ich staune, was jetzt seit den Corona-Jahren hier an der Matthäuskirche entstanden ist:
Das jüngste Pflänzchen ist das Stadtteil-Café, bei dem mit Hilfe von vier neuen Ehrenamtlichen mehr als vierzig Men-schen zusammengebracht worden sind.
Da ist das Team von Gesprächsbereit. Hier bieten geschulte Menschen Einzelgespräche für Ratsuchende an. Und das läuft jetzt. Und zu den vier, die damit angefan-gen haben, ist noch eine fünfte neue Ehrenamtliche aus der Stadt dazugestoßen.
Da sind die Frauen von der Schmökerrunde. Beim Lesen einer gemeinsamen Lektüre kommt man ins Gespräch darüber, wie man die Welt sieht. Man lernt einander ken-nen.
Da ist der Spieleabend, bei dem monatlich Ehrenamtliche den Gemeindesaal aufschließen und wer Lust auf Tischspiele und Geselligkeit hat, ist willkommen.
Wir haben das Team der Stärkungsgottesdienste, das gerade erst vier Studierende dazugewonnen hat. Jeder Gottesdienst wird von allen mitgeprägt. Da gibt’s nicht einen, der den Ton angibt.
Wir haben die Presbyterinnen und Presbyter, die die Abendklang-Gottesdienste leiten und durchführen und die sonntagmorgens in der Kirche Lesungen übernehmen.
Wir haben Menschen, die Konzerte organisieren – unsere Reihe 17-Uhr-Kultur, die uns schon so viele besondere Musikerlebnisse ermöglicht hat.
Wir haben ganz viele, die selbst Musik machen und viele, die singen und die Gottesdienste bereichern. Die Kantorei. Es gibt die, die beim Kirchen-Café die Gottesdienstbesucher zum Gespräch einladen.
Es gibt die, die sonntags alles vorbereiten und wieder wegräumen, die, die die Leute begrüßen, die, die Geld zählen und gewissenhaft aufschreiben.
Es gibt die, die andere ansprechen, die Menschen wahr-nehmen und ernstnehmen.
Es gibt die, die den Besen holen, wenns staubig ist.
Es gibt die, die sich um Technik und Heizung kümmern.
Es gibt die, die den Altarraum schön dekorieren für Ostern, Advent oder Erntedank.
Es gibt die, die Beiträge schreiben für den Gemeindebrief und die, die ihn austragen.
Es gibt die, die sich um Schaukasten, Plakate, Homepage und soziale Medien kümmern.
Dann gibt es die im Presbyterium, die sich Gedanken machen über das Geld und die Gebäude, Kindergarten, Kirche, Pfarrhaus. Es gibt den Bauverein. Es gibt die, die überlegen, was gebraucht wird. Die, die die Matthäuskirche vertreten in der Bezirkssynode und in der Landessynode, im Diakonissenverein und bei der Ökumenischen Sozialstation. Es gibt das Team des Siedlernests, das dort das Leben für Kinder und Familien sinnvoll und hilfreich gestaltet. Es gibt Erwachsene und Jugendliche, die mit den Konfirmanden die Zeit bis zur Konfirmation gestalten.
Da sind Menschen, die die Räume öffnen für Andere, für all die Gäste bei uns: Wechselschritt, B.U.N.D., Freizeitchor, Trauer-Cafés, Familienfeiern, Yoga, Seniorentheater und manchmal die Pfadfinder.
Es gibt die, die den Kirchenvorplatz beleben und einladend gestalten, z.B. die Papas, die gerade den neuen Fahrradständer gebaut haben, z.B. die, die nach unserem Bücherschrank oder nach einem Hochbeet sehen.
Es gibt die, die Feste planen, die die Freundschaft mit St. Albert pflegen, die andere Gemeinden der Stadt besuchen, die bei gemeinsamen Aktivitäten mitmachen, wie Weltgebetstag oder Dekanats-Frauentag.
Und dann gibt es auch noch die, die einfach im Stillen helfen, die, die andere trösten, die, die einsame oder kranke Menschen besuchen. Die, die ihr Engagement auch in die Stadt tragen in vielfältige gute Werke und be-reicherndes Kulturschaffen.
Ich bin geflashed, wie man heute sagt. Ich bin begeistert und fasziniert. Matthäuskirche, da ist wirklich „Menschen für Menschen“ drin. Von den Konfis bis zu den Presbytern.
So viele Gaben: von Organisieren bis einfach Machen, von Singen bis Segnen, von Zuhören bis laut Sprechen, von Lehren bis Reparieren.
Paulus hätte seine Freude gehabt, was Christi Leib hier in der Gemeinschaft und im Umfeld der Matthäuskirche bedeutet, bewirkt und ausstrahlt. Da ist alles drin, was 1 Korinther 12 nennt: Lebensweisheit, Überblick in Krisen, segensreiche Glau-bensstärke, heilendes Handeln, Umsicht, Kreativität, und Voraussicht, Kommunikation und Konfliktlösung. Das macht die Gemeinde als Leib Christi komplett.
Aber jemand fehlt noch in meiner Aufzählung, eine Gabe, ein Auftrag. Und da kommt Jeremia ins Spiel.
Es muss einen oder eine geben, der oder die Dienst an Gottes Wort tut. Das ist eine Gabe, die gleichrangig neben den anderen Gaben steht. Aber, wie wir von Jeremia hören, haben die, die Gottes Wort dienen, es nicht immer leicht.
Während der Nutzen der anderen Gaben immer auf der Hand liegt – das Kommunizierenkönnen, das Vermitteln, das Heilen und Helfen, das Amt, die Freude groß zu machen in Musik und gemeinsamem Kultur-Erleben. – Alles das bringt unmittelbar Vorteile, bringt gemeinsame Freude, stärkt die Gemeinschaft.
Aber dann kommt einer und richtet Gottes Wort aus – und alle ärgern sich über ihn, sind genervt oder halten ihn für verrückt. Aber trotzdem muss er bei seiner Botschaft bleiben, weil er nicht nur getreu wiedergibt, sondern auch noch selbst ergriffen ist davon.
Jeremia hat Übles vorhergesagt, und zwar im Auftrag Gottes. Er prophezeite den Untergang des Staates Juda mit Jerusalem unter dem Ansturm der Babylonier.
Das wollte damals keiner hören. Sie haben ihn verspottet, geschlagen, verhaftet. Aber er konnte ja seine Botschaft nicht entschärfen oder davon abweichen.
Der Diener am Wort. Damals wars ein Prophet. So ein Prophet hatte eine Art Ausbildung von anderen Propheten erhalten. Aber vor allen Dingen war er von Gott selbst berufen und empfing Gottes Botschaften mit dem Auf-trag, sie zu verkünden. Wörtlich. Komme, was wolle. Und das gab meistens Ärger.
Heute gibt es keinen von Gott berufenen Propheten. Aber im Ensemble der Gaben in einer christlichen Ge-meinschaft darf auf keinen Fall die Person fehlen, die da-zu berufen wurde, sich um Gottes Wort zu kümmern und es zu verkündigen, auch wenn es umbequem ist.
Das bedeutet heute nicht mehr wie bei Jeremia, dass man als Pfarrperson in einer Vision oder Audition, also mit dem Gehör, eine Botschaft von Gott bekommt.
Heute bedeutet das, dass man Gottes Wort, die Bibel studiert haben sollte, dass man von den alten Sprachen und von der fernen Zeit die Christus-gemäße Botschaft in das Heute tragen können soll. Das geht nicht so einfach aus dem Bauch heraus, das erfordert Studium, Kenntnis, Sprachfähigkeit, einen gewissen Grad an Übereinstim-mung zwischen Botschaft und Leben.
Heute ist man als Dienerin des Wortes nicht mehr an das Wohlwollen der Herrschenden und die Gunst des Volks gebunden. In unseren großen Kirchen tut man das im Beamtenverhältnis. Und das hat mancherorts und lange Zeit dazu geführt, dass man den Diener des Wortes nicht mehr als einen un-ter vielen Begabten sah, sondern für den Chef von allem gehalten hat, zugleich für den Buchhalter, Geschäftsführer, Reiseveranstalter, ambulanten Seelsorgedienst und Hausmeister. – Was willst du, könnte man sagen: Ist doch halb so wild, wie damals bei Jeremia, den sie am liebsten totgeschlagen hätten!
Jetzt, liebe Gemeinde, ist die Zeit, dass die Gaben in der Gemeinschaft sich entfalten, ich habe viele aufgezählt, die hier an diesem kirchlichen Ort reichlich vorhanden sind. Christus hat hier Gestalt angenommen. So geht Gemeinde als Leib Christi, als „Menschen für Menschen“. Das alles kann die Matthäuskirche mit dem Reichtum an Begabten, der sie umgibt.
Und dazwischen soll es immer einen geben, dem oder der man die Zeit gibt, sich in die Texte zu vertiefen, sich auf die Spur der Botschaft zu begeben und sie in unser Heute zu sagen. Auch wenn das Verkündete gelegentlich unbequem und lästig ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, …