Alle dürfen um die Krippe stehen!

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Predigt über Römer 15,4-13 von Pfarrer Dr. Stefan Bauer, Matthäuskirche Landau
(leicht überarbeitet nach der Vorlage von Pfarrerin Juliane Rumpel, EKBO, veröffentlicht in der facebook-Gruppe Predigtforum)

Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

„Guck mich nicht so an!“
„Was?“ Ich zucke zusammen. Während ich gerade Josef aus einem Taschentuch herausrolle, in welchem er eingewickelt ruhte seit ich meine Krippenfiguren Ende Januar wieder weggeräumt hatte, höre ich eine Stimme: „Du sollst mich nicht so anschauen!“
Jetzt bin ich neugierig geworden. Wen soll ich bitteschön und warum nicht anschauen? Ich drehe mich also zu meiner Krippe um, wo schon Maria kniet und die Hirten, Ochs und Esel sind auch schon da und der Stall überdacht sie alle. Jetzt schau mal an: Da ist noch eine Figur. Den kenn ich gar nicht. Aus welcher Kiste kommt der denn?
„Jetzt staunst du, oder? Hast du mich endlich entdeckt?“
“Aber“, stottere ich und denke: …rede ich jetzt wirklich schon mit einer 10cm hohen hölzernen Krippenfigur? Laut sage ich: „Aber ich sollte dich doch nicht anschauen?“
„Jetzt sei mal nicht so überpenibel! Ich wollte schon, dass du mich entdeckst. Jetzt, wo ich endlich auch mal an der Krippe stehen darf!“
„Wer bist du denn?“, frage ich laut und leise denke ich: Es war einfach zu viel Stress in den letzten Tagen.
„Jetzt sag bloß, du erkennst mich nicht!? Du bist doch Pfarrer! Und du kennst mich nicht? Komm, ich mach Pantomime und du rätst!?“
Ohne meine Zustimmung abzuwarten, sehe ich ihm zu, wie er pantomimisch ein Pferd besteigt, zu reiten beginnt, dann… vom Pferd fällt, sich die Augen zu hält, die Augen zulässt, sie dann ganz plötzlich aufreißt und zu strahlen beginnt, lächelnd, wie ein kleines Kind und am Schluss?! Tja, sieht aus, als würde er irgendwo schwimmen gehen… Irgendwas mit Wasser.
„Alles klar?“, fragt er mich als er fertig ist, „weißt du jetzt, wer ich bin?“
„Du, pfh…“, mache ich und setze auf sein Mitteilungsbedürfnis.
„Ich seh schon, du kommst nicht drauf, hätt ich mir denken können, so jung, wie du bist …“
Ich schlucke meine Antwort runter und will ihn gerade etwas fragen, da sagt er: „Was trinkst du da eigentlich?“ „Ähm, Glühwein?“ (Den gabs ausnahmsweise – war von der Weihnachtsfeier der Firma unsrer Tochter übriggeblieben.)
„Riecht gut“, sagt er und ergänzt: „Ich nehm auch einen!“
Es ist nicht viel Glühwein übrig, aber für ihn, wird’s reichen. „Hmh, lecker.“ Er nippt an dem Fingerhut, den ich aus dem Nähkästchen meiner Frau rausgekramt hab.
Ganz schön klischeehaft, das Ganze. Das wirkt doch wie in einem dieser kitschigen Weihnachtsfilme.
„Ich erlös dich mal“, lässt sich der kleine Mann wieder hören. „Ich bin Paulus.“
„Is klar“, sage ich und muss lachen. „Paulus an der Krippe, das Evangelium kenn ich gar nicht!“
„Mach dich ruhig lustig, als würde alles, was du hier hinstellst, aus einem Evangelium stammen.“
Da muss ich ihm recht geben. Ochs und Esel stehen zwar an meiner Krippe, aber im biblischen Weihnachtsevangelium steht davon nichts…
„Aber du hast doch Jesus gar nicht getroffen, oder?“ „Ja und nein. Aber das kann doch nicht das Kriterium sein, um an seiner Krippe zu stehen…“ Paulus schmollt.
„Ok, wenn du meinst, was ist denn deiner Meinung nach das Kriterium?“
„Na die Wichtigkeit der Botschaft. Also die Hirten sind da, weil er den kleinen Leuten erschienen ist und die Weisen sind da, weil auch die Reichen und Schönen was von ihm lernen können und die Tiere sind da, weil ihr für sie Verantwortung tragt, spätestens seit Gott an ihrer Seite zur Welt kam!“
Interessante Perspektive, denke ich, Tierwohl mit Weihnachten zu begründen…, könnte ich Heiligabend eigentlich mal drüber predigen…
„Und ich, ich hab soviel gepredigt“, reißt mich Paulus aus meinen Gedanken, „gepredigt und geschrieben über Jesus, viel mehr als die andern am Anfang. Ich find da hätte ich es wirklich verdient, hier zu stehen.
Ich hab ja schon ganz früh versucht, den Leuten genau das klar zu machen: Keiner ist besser als der andere, so wie die Hirten und die Weisen zusammen an der Krippe stehen, so ist es egal, ob man sich als Jude an die alten Gesetze hält und dann Christ wird, beschnitten und so, oder ob man eben vorher Gott noch gar nicht kannte, also Heide war, und sich dann taufen lässt, ohne Beschneidung und Speisevorschriften.“
Paulus nimmt noch einen Schluck Glühwein und ich kann mir gerade sehr lebhaft vorstellen, wie der vor 2000 Jahren den ersten Christen die Leviten gelesen hat. – Und weil er nicht überall gleichzeitig sein konnte, hat er dann seine Predigten in Briefen aufgeschrieben und verschickt. Heute hätte er wohl eher einen Podcast gemacht oder Reels von sich veröffentlicht. Ob es einer KI wohl gelingen würde Paulus genauso überzeugend und glaubwürdig ins 21. Jahrhundert zu transferieren, wie er es damals für die Menschen war? Bald kriegen sie das bestimmt auch noch hin und dann hab ich hier auf der Kanzel ausgedient.
„Hast du mal die Sachen gelesen, die ich für die Römer damals geschrieben habe?“ Wieder reißt er mich aus meinen Gedanken und dabei fällt mir siedend heiß, dass die Predigt ja noch nicht fertig ist.
„Ich seh schon“, sagt Paulus und schüttelt den Kopf, „deine letzte Lektüre meines Römerbriefes ist wohl schon ein Weilchen her. Da hab ich ja so allerhand aufgeschrieben, um dir alles nochmal zu erklären, reicht die Zeit heute nicht, aber am Ende, am Ende gings um Folgendes:
Es ist egal, wer du vorher warst und was du vorher geglaubt hast. Und es kümmert Gott auch nicht, wenn du dich an ein paar Gewohnheiten aus deinem vorherigen Leben weiterhin hältst. Wichtig ist, dass du daran glaubst, dass du angenommen bist, dass Gott dich angenommen hat, und dass er mit dir und deinen besonderen Gaben vorhat, die Welt zu verändern.
Ich weiß, das ist gar nicht so einfach, sich selbst erstmal anzunehmen und die eigene Vergangenheit – ich weiß ja, wovon ich rede. Meine Vergangenheit war mehr als düster. Aber seit meiner Taufe sehe ich meine Mitmenschen mit anderen Augen, denn Gott sieht mich ja auch mit liebevollen Augen.
Und so hab ich der gespaltenen Gemeinde in Rom dann schreiben können: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
Paulus wirkt jetzt ein wenig abwesend, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders und ich habe den Eindruck bei seinen nächsten Worten redet er gar nicht mehr mit mir, oder doch?
Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß“, fährt er fort, „damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Und damit meine ich jetzt nicht“, dabei schaut er mich plötzlich ganz durchdringend an, „dass ihr immer einer Meinung sein müsst in eurer Gemeinde. Dazu seid ihr zu verschieden, auch heute noch. Früher da gings heiß her zwischen den Judenchristen und den Heidenchristen. Diese Konflikte habt ihr ja heute nicht mehr.
Aber dafür kommen bei euch Gemeindeglieder aus bürgerlichem Haus und manche haben keinen Schulabschluss, da sind welche arbeitslos, andere haben geerbt, wieder andere sind Geflüchtete, manche sind erst 14 und andere 84, die einen haben eine große Familie und andere sind allein. Ihr seid so unterschiedlich, dass ihr euch noch nicht einmal alle kennt.
Zu meiner Zeit kannten sie sich in den Gemeinden und es wurde in den Häusern gefeiert. Heute kennt man wahrscheinlich die wengisten Häuser und Wohnungen von innen – und ihre Bewohner schon gar nicht.
Hört nicht auf, zu fragen, warum so viele heute nicht mit euch Gottesdienst feiern. Hört nicht auf, mit Menschen zu sprechen, Beziehungen zu knüpfen, euch füreinander zu interessieren und umeinander zu sorgen! Ihr dürft ruhig miteinander streiten, ihr dürft unterschiedlicher Meinung sein, solange ihr im Blick behaltet, dass es um die Sache und nicht um die Person geht!
Der Person nach…“, plötzlich wirkt Paulus sehr nachdenklich, „der Person nach dürften wir alle hier an der Krippe stehen. Vielleicht ist es doch ganz gut, dass da nur die Weisen und die Hirten stehen, sozusagen stellvertretend, sonst wär es ja völlig überfüllt im Stall…“ (Kichern!)
Er muss selber kichern bei dem Gedanken an das Gedränge an der Krippe, vielleicht wirkt aber auch der Glühwein? Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Denn jetzt gähnt der kleine Kerl sehr herzhaft, legt sich neben den Esel aufs Stroh, und murmelt beim Einschlafen: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Die letzten Worte sind so leise, dass ich sie kaum verstehe, aber als ich aus meinem Mittagsschlaf aufwache, ist die etwas weihnachtlich angehauchte Predigt für den 3. Advent quasi fertig, danke Paulus!
Oder um es noch einmal mit seinen Worten zu sagen: Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Amen.