Predigt von Pfr. Dr. theol. Stefan Bauer über Galater 2,11-21 vom 11.8.2024
Galater 2,11-21
11 Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, denn er hatte sich ins Unrecht gesetzt. 12 Denn bevor einige von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete. 13 Und mit ihm heuchelten auch die andern Juden, sodass selbst Barnabas verführt wurde, mit ihnen zu heucheln. 14 Als ich aber sah, dass sie nicht richtig handelten nach der Wahrheit des Evangeliums, sprach ich zu Kephas öffentlich vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du dann die Heiden, jüdisch zu leben? 15 Wir sind von Geburt Juden und nicht Sünder aus den Heiden. 16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht. 17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, sogar selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. 19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
Liebe Gemeinde,
unversöhnliche Lager, verbitterte Gegnerschaft, unterschiedliche Wahrheiten – mehrere davon, Verlust von Anstandsschwellen – vor allem in der digitalen, virtuellen Kommunikation, aber auch Absenkung der Gewaltschwelle im öffentlichen Raum, in der Schule, wo man hinsieht.
Es ist nicht einfach, noch eine wirkliche Diskussion, einen Austausch von Argumenten, zu erleben. Konfliktkultur sucht man vergebens. – Wir wissen, dass auch im Privaten, insbesondere während der Corona-Jahre, Gewalt zugenommen hat. Es ist ein allgemeines Ungeduldigsein, nicht mehr Nachgeben-Wollen. – Vielleicht liegt es ja auch am Altern der Gesellschaft. Wir Baby-Boomer sind inzwischen in einem Alter, in dem wir uns auch nichts mehr sagen lassen wollen. – Und manche Junge haben die Boomer längst als rücksichtslos und konsumgeil abgestempelt.
Das sind schlechte Zeiten für differenziertes Denken, das nun mal nötig ist, wenn Kompromisse oder gar Versöhnung gebraucht werden.
Und sie werden doch so dringend gebraucht, die Kompromisse, die Zugeständnisse, die Eingeständnisse, die Übereinkünfte, die Verständigungen.
Sind die Systeme so im Verteilungskampf begriffen, dass Menschen ihnen nicht mehr beikommen? Oder sind es die profanen Interessen von Menschen, Hunger nach Geld und Macht und Sehnsucht nach Unverwundbarkeit, die die Konflikte unserer Zeit so unlösbar erscheinen lassen?
Wie bin ich immer wieder stolz und froh, in einer Kirche zu arbeiten, in der es mal eine Union gab. Das freiwillige Zusammengehen zweier Lager, zweier Konfessionen, zweier Kirchen, im beiderseitigen Interesse. Kirchenunion. Was für ein wunderbares Wort – wenn dahinter, wie in der Pfalz ein freier Entschluss der Hausväter stand – damals 1818. Ich unterstelle mal, dass die Hausmütter auch ein Wörtchen mitgeredet haben.
Wie viele solcher Beispiele fallen uns noch ein? Versöhnungskommissionen? Verständigungsprozesse? Annäherungen zuvor verbitterter Kontrahenten?
Ich vermute, sogar im familiären Nahbereich gibt es mehr Beispiele erbitterter Fehde, wo die einen den anderen nichts mehr zu sagen haben – und es gibt weniger Beispiele, wo man sich versöhnt und neu angefangen hat. – Aber vielleicht täusche ich mich ja …
Mit dem Galaterbrief des Paulus erfahren wir auch von einer Konfliktlösung. Ja, und das war wahrhaftig kein Spaziergang und mit Kuschelkurs wäre da gar nichts gegangen. Es lohnt sich, zuhause mal die ganzen drei Kapitel des Galaterbriefs nachzulesen.
Was ich an Paulus hier so großartig finde, das ist die Tatsache, dass damals ein Konflikt offen ausgetragen wurde und dass hier nicht nachträglich etwas vertuscht wurde.
So sind wir es doch sonst im Leben gewohnt. Konflikte werden nicht offen geführt, sondern man versucht, dem, der anderer Ansicht ist, die Anhängerschaft zu entziehen, ihn zu verleumden und schlecht zu machen.
Das spielt sich gewöhnlich hintenrum ab über Intrigen und Machtspielchen. Jede Seite bringt ihr Lager hinter sich in Stellung. Alles wird daran gesetzt, dem Gegner nicht die Möglichkeit zu geben, offen Kritik zu äußern.
Wir können das in vielen Bereichen beobachten, solches Konfliktverhalten – von der Familie bis in Arbeitsleben und Politik.
Paulus, Barnabas und der Grieche und geborene Heide Titus waren nach Jerusalem gereist. Diese drei verkündeten Jesus unter den Heiden. Und sie verkündeten das Evangelium als eine Berufung in die Gnade Christi. Sie predigten von der Freiheit, die wir in Christus haben.
Und die Menschen hörten sie und kamen zum Glauben und ließen sich taufen. Titus selbst war ein Beispiel dafür.
In Jerusalem dagegen, war die christliche Urgemeinde ganz anders aufgestellt. Sie bestand aus Menschen, die ins Judentum hineingeboren waren oder die das Judentum später angenommen hatte und sich hatten beschneiden lassen. Alle waren es gewohnt, im Alltag, beim Essen, bei der Kleidung, bei den Gebeten und Gottesdiensten nach den jüdischen Geboten und Gesetzen zu leben. Dieser Gemeinde, so hören wir von Paulus standen Jakobus der Herrenbruder, Petrus, den er hier Kephas nennt und der Jünger Johannes vor. Sie waren die Autoritäten, die Säulen der Urgemeinde.
Was ich hier nun schon spannend finde, das ist, dass Paulus nicht etwa schreibt: Wir gingen dorthin, um uns mit den Säulen der Jerusalemer Gemeinde zu besprechen über die rechte Verkündigung. Nein, Paulus besteht darauf, dass er aufgrund einer Offenbarung nach Jerusalem gekommen war. Es klingt wie eine Nebensache – aber es ist ein Unterschied, ob ich wegen irgendwelcher menschlicher Autoritäten etwas tue oder ob ich es im Auftrag des Herrn tue. Für Paulus bedeutet einer Offenbarung zu folgen, dass er sich nur vor Gott und Christus rechtfertigen muss – nicht aber vor Menschen. Und ich glaube diese Verankerung in Gott und das Festhalten an seinem Auftrag ist der Grund für den Mut des Paulus bei seinem Auftreten in Jerusalem.
Er ist dort schwer angegangen worden wegen seiner Mission unter den Heiden. Es wurde ihm vorgeworfen, dass die Getauften nicht auch beschnitten werden, wie es sich für Menschen gehört, die nach Gottes Geboten leben.
Paulus schreibt (2,5): Denen wichen wir auch nicht eine Stunde und unterwarfen uns ihnen nicht, auf dass die Wahrheit des Evangeliums bei euch bestehen bliebe.
Paulus dachte damals als Seelsorger an seine Gemeinden. Wenn er in Jerusalem nicht hart geblieben wäre, dann wäre das Evangelium für die Galater und die anderen heidenchristlichen Gemeinden kein Evangelium der Freiheit mehr gewesen.
Wie schreibt Paulus den Galatern? – Er schreibt ihnen (2,4) von der Freiheit, die wir in Christus Jesus haben.
Diese Freiheit wäre einer Gesetzlichkeit geopfert worden. Die Heiden hätten sich beschneiden lassen müssen, die jüdischen Speise- und Reinheitsgebote hätten sie lernen und einhalten müssen. Welchen Grund hätte es da geben sollen, dass sie länger hätten Christen bleiben wollen? Wenn er immer nur dieses und jenes von ihnen verlangte, wenn die Botschaft gewesen wäre: Eure Regeln sind falsch – wir geben euch neue Regeln.
Stattdessen war Paulus Botschaft gewesen (3,7): Die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder – durch den Glauben werdet ihr Christen und nicht durch Werke.
Paulus hat den Konflikt offen ausgetragen. Er kannte seine Berufung durch Christus und seinen Auftrag durch Gott im Hintergrund – darauf berief er sich vor der Urgemeinde in Jerusalem und vor ihren Autoritäten.
Hut ab, Paulus. Das nenne ich Zivilcourage. Im jiddischen kann man sagen, das war chuzpe, die du da gezeigt hast. Respektlosigkeit im Festhalten an deiner Wahrheit und in der Verteidigung deiner Gemeinden. Für sie hat sich Paulus ja letztlich eingesetzt, dass sie beim Evangelium der Freiheit bleiben können.
Paulus erläutert uns, weshalb er so mutig sein konnte – weil er in der Sache des Glaubens nicht mehr er selbst war (2,19f): Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.
Das ist die Freiheit des Paulus – er braucht nichts für sich. Es geht ihm nicht um Anerkennung, nicht um Lohn, nicht um Autorität. – Es geht ihm allein um die Wahrheit, die ihm offenbart worden ist. Das macht ihn frei gegenüber allen Menschen, selbst gegenüber den Säulen in Jerusalem, diesen Männern der ersten Stunde, die mit Jesus gelebt und gewandert waren.
Ja, wer jetzt an Martin Luther denkt, der liegt auch nicht falsch. Er hatte auch seine Paulusmomente. Er hielt auch an der Wahrheit fest, die Gott ihm offenbart hatte – übrigens durch Worte, die Paulus geschrieben hat.
Und so dürfen wir uns bis heute von diesem Paulus beeindrucken lassen. Das tiefe Vertrauen in die Wahrheit seines Auftrags befreit Paulus von allen anderen Ambitionen. So kann er auch, als guter Seelsorger, seine Gemeinden im Blick behalten.
Auch heute machen wir einander oft genug das Leben gegenseitig schwer durch alle möglichen und unmöglichen Forderungen nach Gesetzlichkeiten: Der eine sagt, so ist es richtig, der andere sagt es anders. Meistens geht es gar nicht darum, wer recht hat, sondern darum, wer sich durchsetzt. Dadurch können auch heute in unseren Kirchen und Gemeinden immer wieder Menschen verjagt werden.
Auf der anderen Seite – das Festhalten an der Freiheit in Christus – wir sehen und erleben, wohin es die evangelische Kirche in Deutschland geführt hat – die Menschen haben nur das Wort Freiheit angenommen und das in Christus vergessen und sie nehmen sich ihre Freiheit, Kirche und Gemeinschaft zu verlassen.
Auch das muss eine Kirche ertragen, die Christus als den verkündigt, der frei macht. Viele halten das nicht aus und wechseln lieber in Gemeinden, die klare Regeln vorgeben und verbindlichere Vorgaben für den Alltag machen.
Wie bei Paulus damals: Vertuschen ist keine Option. Es tut unendlich weh, wenn der Glaube keine Sozialform mehr findet. Aber auch ein Einknicken in einen neuen Dogmatismus und eine neue Gesetzlichkeit ist keine Option. Denn meistens geht es bei solchen Gesetzlichkeiten um menschliche Machtbestrebungen: Wer setzt sich mit seinen Regeln durch? – Gesetzliche Gemeinden erkennt man daran, dass sie nicht mehr offen sind, dass sie bestimmte Gruppen von Menschen ausschließen.
Doch die einzigen, die man tatsächlich ausschließen muss, um alle anderen zu schützen, dass sind die, die ausschließen wollen. Diese Grenze zieht Paulus ganz deutlich und klar: In Christi Namen gehören alle Kinder Gottes dazu. Und die Grenze verläuft dort, wo jemand abgrenzen und diskriminierenn und Menschen 2. Klasse definieren will.
Und der Friede Gottes, …