Den Frieden wecken

Predigt zum Volkstrauertag 2025 in der Prot. Matthäuskirche Landau
von Pfr. Dr. Stefan Bauer unter Verwendung einer Vorlage von Sylvia Bukowski

Joh 11,32-45

32 Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und sah ihn, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 33 Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr kamen, ergrimmte er im Geist und erbebte 34 und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sprachen zu ihm: Herr, komm und sieh! 35 Und Jesus gingen die Augen über. 36 Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn so lieb gehabt! 37 Einige aber unter ihnen sprachen: Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste? 38 Da ergrimmte Jesus abermals und kommt zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor. 39 Jesus spricht: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen. 40 Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42 Ich wusste, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sagte ichs, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43 Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! 45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn. 

Liebe Gemeinde,
es gibt jedes Jahr eine sogenannte Friedensdekade – 10 Tage um den Volkstrauertag und den Buß- und Bettag herum gab es in früheren Jahren in Landau und an vielen Orten Friedenswochen. Damals ist auch die kirchliche Friedens-Dekade ins Leben gerufen worden.
Ich glaube, das waren in den 1980er Jahren wichtige Zeiten. Damals entstanden nicht nur in Deutschland große Bewegungen, die Umweltbewegung, die Friedensbewegung, die Eine-Welt-Bewegung. Es gibt Zyniker, die behaupten, alles, was an Abrüstung geschehen sei, sei nur Verdienst der Politik gewesen. Der Zusammenbruch des Ostblocks sei eine Art wirtschaftliches und militärtechnisches Niederringen gewesen. Ich sehe bis heute mehr darin. Damals sind soziale Bewegungen entstanden, die zu großem gesellschaftlichem Engagement geführt haben. Es war eine, in ganz überwiegenden Teilen, friedliche Protestkultur entstanden, die letztlich dann auch zum Mauerfall führte.

Heute erleben wir, wie Bürgerbewegungen es immer schwerer gemacht bekommen. An vielen Orten auf der Welt, wo Menschen in Massen auf die Straßen gehen, werden sie gewaltsam von der Staatsmacht bekämpft. Bei uns wird Gemeinnützigkeit aberkannt und daran ge4arbeitet, dass NGO’s Nicht-Regierungs-Organisationen, kleingehalten werden im Namen der Interessen der Wirtschaft. Und dennoch weisen die Bewegungen immer noch auf Gefahren hin und klagen politisches Handeln ein. Aber die Inhalte kommen unter die Räder einer Welt, die sich in Verteilungskämpfe stürzt und unfähig ist, ihre Probleme gemeinsam, als Weltgemeinschaft, zu lösen.

Komm, den Frieden wecken! So lautet das Motto der diesjährigen Friedensdekade. Mir kommen düstere Gedanken: Wer kommt schon noch mit? Wer lässt sich noch bewegen? Ich kenne mich selbst, wie ich über dem Alltäglichen, was zu tun ist, die Energie nicht aufbringe, die jungen Menschen von Fridays for Future zu unterstützen. Eine Petition hier, ein Mitgliedsbeitrag da, ein Like setzen in sozialen Netzwerken. Mehr Priorität gebe ich dem nicht, und es ist zu großen Teilen auch Resignation – kein gutes Vorbild für junge Menschen! Komm, den Frieden wecken! – Ist er vielleicht doch tot?

Aber wir haben doch Mut-Geschichten. Der Glaube muss sich doch nicht von kleinen Zahlen und geringen Chancen schrecken lassen! Und so möchte ich ein paar Gedanken über Lazarus aufgreifen, die mir in die Hände gefallen sind. Lazarus, ein guter Freund Jesu, ist gestorben und Jesus war nicht da. Alle, die Lazarus kannten, sind traurig, und als Jesus endlich kommt, klagt Lazarus‘ Schwester Jesus an: „Wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben!“
Könnte man heute nicht auch so klagen angesichts der Weltlage. Da werden wir Christen gefragt: Wo ist denn euer Jesus? Der, den ihr Friedefürst nennt! Der angeblich alle Zerrissenheit heilen kann! Wäre er da, könnte es doch diese schrecklichen Kriege nicht geben. Es müssten doch nicht so viele unschuldige Menschen sterben! Dann müsste es doch Hoffnung auf Frieden geben!
Die Kritik von außen schmerzt. Man könnte sie ja beiseite schieben. Aber auch vom Glauben her fragen und flehen und beten wir: Wo bleibst du? Es kann dir doch nicht gleichgültig sein, was die anrichten, die die Welt mit Tod und Todesdrohung überziehen? Wie lange müssen wir noch warten? Wir sind auch so wenige, die sich noch auf Jesus beziehen. So wenige, die eine Verbindlichkeit spüren? Oder? Liegt das daran, dass wir meinen, Jesus lässt seine Christen und die Welt warten?

Warten ist eine gans schöne Zumutung. Für die Familie und die Freunde von Lazarus dauerte das Warten so lange, dass sie dachten: jetzt ist alles zu spät. Jetzt gibt es keine Hoffnung mehr: Lazarus ist tot – der Geruch des Todes über allem. Was ist da noch zu machen?
Doch dann kommt Jesus. Und das, was für die Menschen hoffnungslos tot scheint, nennt Jesus Schlaf. Und er ruft Lazarus aus seinem Grab. Jesus zeigt hier diese unfassbare, so unglaubliche, göttliche Lebensmacht. Eine ganz andere Macht, als die Macht, klein zu halten, die Macht, zu unterdrücken, die Macht, Angst einzuflößen, die Macht, zu verletzen mit Worten und mit Waffen.

Diese tödlichen Mächte können wir täglich am Werk sehen und sind auch selbst nicht frei davon. Aber es gibt eben auch die Lebensmacht, diese unbändige Lebensmacht und Kraft, die immer wieder Leben hervorbringt. – Ich musste spontan denken an den amerikanischen Nationalpark Craters of the moon. Man läuft dort tatsächlich wie durch eine schwarzgraue Mondlandschaft, die bis zum Horizont reicht. Und die Sonne brennt unbarmherzig auf die dunkle verwitterte Lava, so dass das Luftholen sich anfühlt, als würde man seine Lungen ausbrennen. Und dann schauten wir, meine Frau und ich, auf diese verbrannte Erde und in den feinen Ritzen und kleinsten Zwischenräumen war Leben, waren winzige Pflanzen. Ich kann gar nicht sagen, was für Pflanzen es waren. Das Grün war nur zu sehen, wenn man scharf hinsah.
So ist unsere Erde – ein Ort unbändiger Lebenskraft. Und so ist das Leben in uns allen – geschenkt und lebendig und voller Sehnsucht nach mehr Leben.

Jesus, so sieht es der Glaube, verkörperte diese Lebenskraft. Leben, das Heilung und Hoffnung nährt. Mitten in einer kaputten Welt. Und was Lazarus geschehen ist, kann auch dem totgesagten Frieden geschehen. Deshalb richtet sich der Aufruf: Komm, den Frieden wecken, vielleicht zuerst an Jesus: Komm, brich den Bann der Resignation, die so viele lähmt. Komm, weck uns auf aus unserer Mutlosigkeit und unserer Wagenburgmenthalität. – Mach uns durch dein Leben und Sterben und Auferstehen gewiss, dass dem Frieden die Zukunft gehört! Nicht der Gewalt! Stärke unser Vertrauen, dass der Einsatz für Versöhnung und Gerechtigkeit nicht vergheblich ist, dass Frieden immer möglich ist.

Aber wie können wir mithelfen beim Wecken? Ein erster Schritt könnte sein: Mitten in der weltweiten Zunahme von Aggression und Feindseligkeit weigern wir uns als Christinnen und Christen Feinde zu sein!

Ich habe dabei meine Freundschaften in Frankreich vor Augen. Wo mir ein alter Fischhändler in Lorient, überzeugter Protestant, den Ort gezeigt hat, an dem die Deutschen seinen Bruder erschossen. – Und diesem Henri David lag jetzt so viel daran, uns jungen Deutschen kennen zu lernen und zur Versöhnung zu kommen. Das war in den späten 90ern.

Ich habe vor Augen einen verstorbenen Freund, der vor 25 Jahren mit einem Koffer voll Bargeld nach Tirana in Albanien flog, wo wir anderen ihn abholten. Aus Sicherheitsgründen war er mit dem Flugzeug gekommen. Und dann fuhren wir auf Straßen, die fast wie Kraterlandschaften waren, in den Norden Albaniens um dort geflüchtete Menschen aus dem Kosovo zu unterstützen. Lastwagenweise hatten wir zusammen mit Katholiken und Muslimen aus Ludwigshafen medizinisches Material in das örtliche Krankenhaus in Shkodra gebracht.

Und überall gibt es auch solche Menschen und solche Initiativen – und das an den Mächtigen vorbei. – Ich denke an die, die auf der Balkan-Route noch heute Migranten mit Kleidung und essen versorgen. An die Seenotretter, die nicht aufgeben. An die internationalen Helfer, die in Gaza ausgehalten haben. Oder an den Korrespondenten der ARD, der gestern in der Tagesschau von der Bombennacht in Kiew berichtet hat.

Es gibt die Hoffnung auf Frieden und sie ist nicht auszulöschen. Als Kirchengemeinde können wir im Kleinen, in unserem menschlichen Miteinander Hoffnungszeichen setzen – im Namen des Lebens, das stärker ist als der Tod. Im Namen Jesu, des Auferstandenen, des Lebendigen, der in unserer Mitte Hoffnungspflanzen keimen lässt.
Vielleicht sieht man die Hoffnungspflanzen nicht gleich in Schlacke und Lava und Dreck dieser Zeit. Aber sie sind da, sie sind grün, sie sind lebendig und stark.

Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.